Endstation Venedig
alles verloren?
Ja.
Hast du eine Ahnung, um welche Summen es geht?
Da ist niemand sicher. Ich habe Schätzungen zwischen fünf und fünfzehn Milliarden gehört, aber keiner konnte mir eine genaue Summe nennen. Jedenfalls heißt es, daß er eine Zeitlang alles noch zu-sammenhalten konnte, jetzt aber offenbar ernsthafte Liquiditätspro-bleme hat. Ein Freund von mir, der beim Corriere arbeitet, sagt, Viscardi habe eigentlich nichts zu befürchten, weil er seine Finger in irgendeinem Regierungsvertrag mit drin hat. Und er hat Beteili-gungen in anderen Ländern. Mein Kontaktmann war sich nicht ganz sicher, in welchen. Soll ich versuchen, mehr herauszufinden?
Brunetti hatte allmählich den Eindruck, daß dieser Signor Viscardi einer aus jener aufkommenden Generation von Geschäftsleu-ten war, die harte Arbeit durch Frechheit ersetzten und Ehrlichkeit durch Beziehungen. Nein, ich glaube nicht, Riccardo. Ich wollte mir nur einen Eindruck verschaffen, ob er so etwas probieren würde.
Und?
Tja, es sieht so aus, als wäre er durchaus dazu fähig.
Obwohl Brunetti nicht danach gefragt hatte, wartete Fosco mit einer weiteren Information auf.
Er soll sehr gute Beziehungen ha-
ben, aber Genaueres wußte mein Informant nicht. Soll ich noch ein bißchen herumfragen?
Klang es nach Mafia?
wollte Brunetti wissen.
Könnte man sagen. Foscos Lachen hatte einen resignierten Unterton.
Aber wann klingt es nicht danach? Es scheint allerdings, als hätte er auch einen Draht zu Regierungsmitgliedern.
Brunetti widerstand seinerseits der Versuchung, zu fragen, wann es danach nicht klang, statt dessen fragte er: Und sein Privatleben?
Er hat eine Frau und Kinder hier in Mailand. Sie ist so eine Art Patenfee für die Malteser – Wohltätigkeitsbälle und Besuche in Krankenhäusern, weißt du. Außerdem hat er eine Geliebte in Verona; ich glaube, es war Verona. Irgendwo bei dir in der Gegend.
Du hast gesagt, er sei arrogant?
Ja. Einige Leute, mit denen ich gesprochen habe, meinen sogar, noch mehr als das.
Was heißt das?
erkundigte Brunetti sich.
Zwei sagen, er könnte gefährlich sein.
Er persönlich?
Du meinst, ob er ein Messer ziehen würde?
fragte Fosco la-
chend.
So etwas in der Richtung.
Nein, ich hatte nicht den Eindruck, daß sie das meinten. Jedenfalls würde er es wohl nicht persönlich tun. Aber er geht gern Risiken ein; zumindest steht er hier in diesem Ruf. Und wie ich schon sagte, er ist gut geschützt und zögert nicht, seine einflußreichen Freunde um Hilfe zu bitten.
Fosco hielt einen Moment inne, dann sagte er: Einer meiner Gesprächspartner ging sogar noch weiter, wollte mir aber nichts Genaueres sagen. Er meinte nur, wer mit Viscardi zu tun habe, solle sehr vorsichtig sein.
Brunetti beschloß, den letzten Satz auf die leichte Schulter zu nehmen, und erklärte:
Ich habe keine Angst vor Messern.
Foscos Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
Ich hatte
auch nie Angst vor Maschinenpistolen, Guido. Dann war ihm seine Bemerkung offenbar peinlich, denn er fügte hinzu: Ich meine es
ernst, Guido, nimm dich vor ihm in acht.
Schon gut, ich werde daran denken. Und vielen Dank, Riccardo.
Dann sagte er noch:
Ich habe immer noch nichts in Erfah-
rung bringen können, aber wenn ich etwas höre, lasse ich es dich wissen.
Viele Polizisten, die Fosco kannten, hatten verbreitet, daß sie an Hinweisen darauf interessiert seien, wer damals geschossen hatte und wer die Drahtzieher waren, aber wer es auch gewesen sein mochte, war sehr vorsichtig zu Werke gegangen, denn Foscos Be-liebtheit bei der Polizei war allgemein bekannt, und das Schweigen dauerte nun schon Jahre. Brunetti hielt die Sache für aussichtslos, trotzdem fragte er gelegentlich nach, ließ hier und dort einen Hinweis fallen und sprach mit Verdächtigen in ganz allgemeiner Form über die Möglichkeit eines Kuhhandels im Tausch gegen die Information, die er haben wollte. Doch in all den Jahren war er der Lösung nicht näher gekommen.
Ich weiß es zu schätzen, Guido. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es noch so wichtig ist.
War das Weisheit oder Resignation, was man da heraushörte?
Warum?
Ich heirate.
Liebe also, besser als beides.
Herzlichen Glückwunsch, Riccardo. Wer ist es denn?
Ich glaube nicht, daß du sie kennst, Guido. Sie arbeitet für die Zeitschrift, aber sie ist erst ein gutes Jahr dabei.
Wann?
Im nächsten Monat.
Brunetti machte gar nicht erst falsche Versprechungen, daß er versuchen würde, dabeizusein, aber es kam von
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