Endstation Venedig
keinen Grund, warum nicht. Letzte Nacht wurde in seinem Haus eingebrochen, und er überraschte die Täter. Er konnte die drei Männer nicht beschreiben, aber er wußte, welche drei Bilder sie mitgenommen haben.
Klingt ganz nach Viscardi , sagte Fosco.
Ist er so dumm?
Nein, dumm ist er nicht. Ganz und gar nicht. Aber er ist arrogant, und er ist risikobereit. Diese beiden Eigenschaften haben ihm zu seinem Vermögen verhelfen. Foscos Stimme veränderte sich.
Tut mir leid, Guido, ich bekomme gerade einen Anruf auf der anderen Leitung. Ich rufe dich nachher wieder an, ja?
Danke, Riccardo , sagte Brunetti, und bevor er noch hinzufü-
gen konnte:
Das ist sehr nett von dir , war die Leitung tot.
Das Geheimnis polizeilicher Erfolge gründete sich, wie Brunetti wußte, nicht auf brillantes Kombinieren oder die psychologische Manipulation von Verdächtigen, sondern auf die schlichte Tatsache, daß Menschen dazu neigten, ihren eigenen Intelligenzgrad für die Norm zu halten. Darum wurden die Dummen immer schnell gefaßt, denn ihre Vorstellung von Schlauheit war so jämmerlich verkümmert, daß sie die geborene Beute für die Greifer waren. Dummerweise machte dieselbe Regel seine Arbeit nur noch schwerer, wenn er es mit Kriminellen zu tun hatte, die Intelligenz oder Mut besaßen.
In der folgenden Stunde rief Brunetti unten bei Rossi an und ließ sich den Namen des Versicherungsvertreters geben, der gebeten hatte, den Schauplatz des Einbruchs besichtigen zu dürfen. Als er den Mann schließlich in seinem Büro erreichte, bestätigte er Brunetti, daß die Bilder alle echt und alle bei dem Einbruch verschwunden seien. Kopien der Echtheitszertifikate lägen in diesem Augenblick auf seinem Tisch. Der Marktwert der drei Bilder? Also, sie seien für drei Milliarden Lire versichert, aber der reale Marktwert habe sich innerhalb des letzten Jahres womöglich noch erhöht, beim derzeitigen Preisanstieg für Impressionisten. Nein, es sei vorher noch nie dort eingebrochen worden. Ja, Schmuck sei ebenfalls gestohlen worden, aber verglichen mit den Bildern sei das unerheblich, ein paar hundert Millionen Lire. Aha, dachte Brunetti, was für eine reizende Welt, in der ein paar hundert Millionen Lire als unerheblich galten.
Als Brunetti sein Gespräch mit dem Versicherungsvertreter beendet hatte, kam gerade Rossi aus dem Krankenhaus zurück und erzählte ihm, Signor Viscardi sei höchst überrascht gewesen, als er das Foto von Ruffolo sah. Er habe sich allerdings schnell wieder ge-faßt und erklärt, der Mann auf dem Bild habe keine Ähnlichkeit mit einem der beiden Männer, die er gesehen habe, wobei er inzwischen darauf beharrte, es seien nach reiflicher Überlegung doch nur zwei gewesen.
Was halten Sie davon?
fragte Brunetti.
Er lügt. Ich weiß nicht, was er sich sonst noch alles zusam-menlügt, aber wenn er behauptet, Ruffolo nicht zu kennen, dann lügt er. Er hätte nicht verblüffter sein können, wenn ich ihm ein Foto seiner eigenen Mutter unter die Nase gehalten hätte.
Das heißt dann wohl, daß ich mich mal mit Ruffolos Mutter unterhalten muß , sagte Brunetti.
Soll ich Ihnen eine kugelsichere Weste aus der Kleiderkammer holen?
fragte Rossi grinsend.
Nein, Rossi, die Witwe Ruffolo und ich, wir kommen jetzt bestens miteinander aus. Nachdem ich beim Prozeß ein gutes Wort für ihren Sohn eingelegt habe, hat sie sich entschlossen, zu vergeben und zu vergessen. Sie lächelt sogar, wenn sie mich auf der Straße sieht.
Er verschwieg, daß er sie in den letzten beiden Jahren ein paarmal besucht hatte, offenbar als einziger Mensch in der ganzen Stadt.
Sie Glücklicher. Spricht sie auch mit Ihnen?
Ja.
Siciliano?
Ich glaube, sie kann gar nichts anderes.
Wieviel davon verstehen Sie denn?
Etwa die Hälfte , antwortete Brunetti, und um der Wahrheit willen fügte er hinzu:
Aber nur, wenn sie ganz langsam
spricht.
Obwohl man nicht sagen konnte, daß Signora Ruffolo sich an das Leben in Venedig angepaßt hatte, auf ihre Weise hatte sie doch zur Polizeigeschichte der Stadt beigetragen, eine Frau, die einen Commissario angegriffen hatte, um ihren Sohn zu schützen.
Kurz nachdem Rossi gegangen war, rief Fosco zurück.
Guido, ich habe mit ein paar Leuten hier gesprochen. Es heißt, er habe bei seinen Golfgeschäften ein Vermögen verloren. Ein voll-beladenes Schiff, dessen Ladung niemand kannte, ist verschwunden, wahrscheinlich von Piraten gekapert. Und wegen des Embargos hatte er es nicht versichern können.
Er hat also
Weitere Kostenlose Bücher