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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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mumifiziert aus, die Haut runzelig wie die Falten einer alten Lederjacke, der Schädel fleckig und fast völlig kahl, Arme und Beine in einem Maße ausgezehrt, dass sie fast nur noch wie verkümmerte Fortsätze wirkten.
    Alles an der Haltung des Mannes weckte Gedanken an ein runzeliges und ungefiedertes Vogelbaby in mir, das aus dem Nest gefallen war. Seine pergamentartige Haut hatte einen Blauschimmer, bei dem ich im ersten Augenblick Androide dachte, aber dann fiel mir der andersartige Blauton auf, das schwache Leuchten der Handflächen, Rippen und Stirn, und mir wurde klar, dass ich einen richtigen Menschen vor mir hatte, der jahrhundertelange Poulsen-Behandlungen genossen – oder erlitten – hatte.
    Niemand bekommt mehr Poulsen-Behandlungen. Die Technologie ging mit dem Fall verloren, ebenso die Rohstoffe von in Raum und Zeit verschollenen Welten. Hatte ich gedacht. Aber hier sah ich ein mindestens mehrere Jahrhunderte altes Geschöpf vor mir, das Poulsen-Behandlungen bis vor wenigen Jahrzehnten erhalten haben musste.
    Der alte Mann schlug die Augen auf.
    Seither habe ich ähnlich gebieterische Augen wie seine gesehen, aber in meinem ganzen vorherigen Leben hatte mich nichts auf die Intensität dieses Blickes vorbereiten können. Ich glaube, ich wich einen Schritt zurück.
    »Komm näher, Raul Endymion.« Die Stimme hörte sich an wie eine stumpfe Messerklinge auf Pergament. Der Mund des alten Mannes bewegte sich wie der Schnabel einer Schildkröte.
    Ich kam näher und blieb erst stehen, als sich eine Komkonsole zwischen mir und der mumifizierten Gestalt befand. Der alte Mann blinzelte und hob eine Knochenhand, die dennoch zu schwer für das dünne Handgelenk wirkte. »Weißt du, wer ich bin?« Das Kratzen der Stimme war leise wie ein Flüstern.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Weißt du, wo du bist?«
    Ich holte tief Luft. »Endymion. Ich glaube, in der leer stehenden Universität.«
    Die Runzeln formten sich zu einem zahnlosen Lächeln. »Ausgezeichnet.
    Der Namensvetter erkennt den Steinhaufen, der seiner Familie den Namen gegeben hat. Aber du hast keine Ahnung, wer ich sein könnte?«
    »Nein.«
    »Und du hast keine Fragen, wie du deine Hinrichtung überleben konntest?«
    Ich stand entspannt da und wartete.
    Der alte Mann lächelte wieder. »Wirklich ausgezeichnet. Dem, der wartet, fällt alles zu. Und die Einzelheiten sind so erhellend auch wieder nicht... Schmiergelder an den richtigen Stellen, ein Schocker anstelle eines Todesstrahls, weitere Schmiergelder für diejenigen, die den Totenschein ausstellen und den Leichnam wegschaffen müssen. Nicht für das ›Wie‹
    interessieren wir uns, oder, Raul Endymion?«
    »Nein«, sagte ich schließlich. »Warum?«
    Der Schildkrötenschnabel zuckte, der gewaltige Kopf nickte. Ich stellte fest, dass das Gesicht, ungeachtet aller Verwüstungen durch die Jahrhunderte, immer noch scharf geschnitten und eckig war – das Antlitz eines Satyrs.
    »Genau«, sagte er. »Warum? Warum sollte sich jemand die Mühe machen, deine Hinrichtung zu türken und deinen beschissenen Kadaver über einen halben beschissenen Kontinent transportieren lassen? Wahrlich, warum?«
    Aus dem Mund des alten Mannes wirkten die Schimpfworte nicht besonders drastisch. Es schien, als hätte er seine Sprache so lange damit gepfeffert, dass sie keiner besonderen Betonung bedurften. Ich wartete.
    »Ich möchte, dass du einen Botengang für mich unternimmst, Raul Endymion.« Der Atem des alten Mannes ging keuchend. Helle Flüssigkeit floss durch die IV-Leitungen.
    »Habe ich eine Wahl?«
    Das Gesicht lächelte wieder, aber die Augen blieben so unveränderlich wie die Mauersteine. »Wir haben immer eine Wahl, guter Junge. In diesem Fall kannst du jede Schuld mir gegenüber missachten, weil ich dir das Leben gerettet habe, und einfach gehen... weglaufen. Meine Diener werden dich nicht aufhalten. Mit etwas Glück wirst du aus diesem Sperrbezirk herauskommen, in zivilisiertere Regionen gelangen und den Pax-Patrouillen entgehen, bei denen deine Identität und fehlenden Ausweispapiere möglicherweise... äh... peinlich sein könnten.«
    Ich nickte. Meine Kleidung, Chronometer, Arbeitsnachweis und Pax-Kennkarte waren inzwischen wahrscheinlich irgendwo in der Toschahibucht. Da ich als Jagdführer in den Sümpfen gearbeitet hatte, vergaß ich manchmal, wie oft die Behörden in den Städten Ausweise kontrollierten. Sollte ich zu den Städten an der Küste oder im Landesinneren zurückkehren, würde ich es bald zu

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