Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung
ich. »Ich habe nie gefragt.«
»Was?«, antwortete Aenea verwirrt.
»Der Grund, warum du in etwa einem Jahr die Donnersau und Dem Loa brauchst«, sagte ich mit belegter Stimme. »Wird es ein Junge oder ein Mädchen?«
»Ahhh«, sagte Aenea, die endlich begriff. Sie wandte das Gesicht wieder ab, lehnte sich an mich und drückte die Rundung ihres Kopfs unter mein Kinn. Ich konnte ihre Worte durch die Knochen hindurch spüren, als sie weitersprach. »Ich weiß es nicht, Raul. Wirklich nicht. Dies ist ein Abschnitt meines Lebens, den ich nie einer eingehenderen Betrachtung unterzogen habe. Was immer als Nächstes passiert, wird neu für mich sein.
Oh... ich weiß aus vereinzelten Blicken auf künftige Ereignisse, dass wir ein gesundes Kind haben werden und es das Schwerste für mich sein wird, das Kind... und dich... zu verlassen... viel schwerer, als wenn ich mich im Petersdom gefangen nehmen lassen und den Inquisitoren des Pax stellen muss. Aber ich weiß auch aus Einblicken in die Zeit nach dieser hier – wenn ich auf T’ien Shan wieder mit dir vereint sein werde, in meiner Zukunft und deiner Vergangenheit, und leiden muss, weil ich dir nichts von alledem erzählen kann, wird mich die Tatsache trösten, dass es unserem Baby in dieser Zukunft gut geht und du es großziehen wirst. Und ich weiß, du wirst das Kind nie vergessen lassen, wer ich war oder wie sehr ich euch beide geliebt habe.«
Sie holte tief Luft. »Aber ob es ein Junge oder ein Mädchen wird und welchen Namen wir dem Baby geben – ich habe keine Ahnung, Liebster.
Ich habe beschlossen, keinen Blick in diese Zeit zu werfen, unsere Zeit, sondern sie Tag für Tag mit dir zu erleben. Ich bin für diese Zukunft so blind wie du.«
Ich hob die Arme über ihre Brust und zog sie ganz fest an mich.
Ein verlegenes Hüsteln ertönte, und wir schauten auf und stellten fest, dass A. Bettik noch neben der Hawking-Matte stand.
»Alter Freund«, sagte Aenea und hielt seine Hand, während ich sie weiter fest an mich drückte. »Welche Worte gibt es?«
Der Androide schüttelte den Kopf, sagte dann aber: »Haben Sie jemals das Sonett Ihres Vaters mit dem Titel ›An Homer‹ gelesen, M. Aenea?«
Mein liebes Mädchen dachte nach, runzelte die Stirn und sagte dann:
»Ich glaube ja, aber ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Vielleicht ist ein Teil davon relevant für M. Endymions Frage nach der Zukunft von Pater de Soyas Kirche«, sagte der blaue Mann. »Und auch für anderes. Darf ich?«
»Bitte«, sagte Aenea. Ich konnte ihre kräftigen Rückenmuskeln an meinem Körper spüren und merkte daran, wie sie mit der rechten Hand auf meinen Schenkel drückte, dass sie es ebenfalls kaum erwarten konnte, endlich wegzukommen und einen Lagerplatz zu finden. Ich hoffte, A. Bettiks Vortrag würde kurz sein. Der Androide zitierte:
»Dir ist ein Licht am finstern Strand erwacht,
Abgründe sind mit frischem Grün bedeckt;
Ein Morgen knospt aus dunkler Mitternacht;
Dreifach Gesicht solch scharfe Blindheit weckt...«
»Danke«, sagte Aenea. »Danke, teurer Freund.« Sie löste sich gerade genug von mir, dass sie den Androiden zum letzten Mal küssen konnte.
»He«, sagte ich und versuchte, wie ein vernachlässigtes Kind zu greinen.
Sie küsste mich länger. Sehr viel länger. Sehr viel intensiver.
Wir winkten zum Abschied, ich berührte die Flugfäden, die jahrhundertealte Matte erhob sich fünfzig Meter in die Luft, flog zum letzten Mal über das abtrünnige Stückchen Stadt und den Turm hinweg, umkreiste das ebenholzfarbene Raumschiff des Konsuls und trug uns nach Westen. Wir ließen uns vom Polarstern leiten, unterhielten uns über eine höher gelegene Lagerstelle einige Kilometer westlich, passierten das Grab des alten Dichters, wo das Shrike immer noch stumm Wache stand, flogen über den Fluss, wo sich das letzte Sonnenlicht in den Wellen und Strudeln spiegelte, und stiegen höher, während wir auf die üppigen Wiesen und umliegenden Wälder unseres neuen Spielplatzes hinabsahen, unserer alten Welt, unserer neuen Welt... unserer ersten und zukünftigen und besten Welt.
Weitere Kostenlose Bücher