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Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung

Titel: Endymion - Pforten der Zeit & Die Auferstehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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spüren bekommen. Und selbst landwirtschaftliche Jobs wie Schafhirte oder Führer erforderten einen Pax-Ausweis aus steuer- und versicherungstechnischen Gründen. Was bedeutete, ich hätte mich den Rest meines Lebens im Landesinneren verstecken und Menschen meiden müssen.
    »Oder«, sagte der alte Mann, »du kannst den Botengang für mich erledigen und reich werden.« Er verstummte und musterte mich mit seinen dunklen Augen, wie ich es bei Jägern gesehen hatte, die Welpen begutachteten, aus denen möglicherweise gute Jagdhunde wurden.
    »Sagen Sie es mir«, bat ich.
    Der alte Mann machte die Augen zu und holte tief und rasselnd Atem. Er machte sich nicht die Mühe, die Augen aufzuschlagen, als er weitersprach.
    »Kannst du lesen, Raul Endymion?«
    »Ja.«
    »Hast du je das Gedicht gelesen, das Cantos heißt?«
    »Nein.«
    »Aber du hast davon gehört? Gewiss hat der Geschichtenerzähler eines der nomadischen Schafhirtenklans des Nordens einmal die Cantos erwähnt?« Ein seltsamer Unterton lag in der brüchigen Stimme.
    Möglicherweise Bescheidenheit.
    Ich zuckte die Achseln. »Ich hab Teile davon gehört. Mein Klan zog jedoch das Garten-Epos oder die Glennon-Height Saga vor.«
    Die Satyrzüge furchten sich zu einem Lächeln. »Das Garten-Epos. Ja.
    Raul war darin ein Zentaurenheld, oder nicht?«
    Ich sagte nichts. Grandam hatte die Figur des Zentauren Raul geliebt.
    Meine Mutter und ich waren beide aufgewachsen und hatten Geschichten von ihm gelauscht.
    »Glaubst du diese Geschichten?«, sagte der alte Mann scharf. »Ich meine die Geschichten der Cantos.«
    »Sie glauben?«, sagte ich. »Dass sie sich tatsächlich so zugetragen haben? Die Pilger, das Shrike und das alles?« Ich verstummte eine Minute.
    Es gab Leute, die glaubten alle Geschichten, die in den Cantos erzählt wurden. Und es gab Leute, die glaubten nichts davon und waren überzeugt, dass es Mythen und Gefasel kunterbunt durcheinander waren, um dem hässlichen Krieg und dem Chaos des Falls etwas Geheimnisvolles hinzuzufügen. »Ich habe nie darüber nachgedacht«, sagte ich aufrichtig.
    »Ist es wichtig?«
    Der alte Mann schien zu würgen, doch dann wurde mir klar, dass die trockenen, rasselnden Laute ein Kichern waren. »Eigentlich nicht«, sagte er schließlich. »Und jetzt hör mir zu. Ich werde dir den... Botengang in groben Zügen umreißen. Es kostet mich viel Energie zu sprechen, daher spar dir deine Fragen auf, bis ich fertig bin.« Er blinzelte und gestikulierte mit seiner fleckigen Klaue zu dem mit einem weißen Laken verhängten Sessel.
    »Möchtest du dich setzen?«
    Ich schüttelte den Kopf und blieb locker stehen.
    »Nun gut«, sagte der alte Mann. »Meine Geschichte beginnt vor fast zweihundertsiebzig Jahren, während des Falls. Einer der Pilger in den Cantos war eine Freundin von mir. Ihr Name war Brawne Lamia. Sie gab es wirklich. Nach dem Fall... nach dem Tod der Hegemonie und dem Öffnen der Zeitgräber... gebar Brawne Lamia eine Tochter. Das Kind bekam den Namen Diana, aber das kleine Mädchen war eigensinnig und änderte ihren Namen, als sie gerade alt genug war, um zu sprechen. Eine Zeit lang kannte man sie als Cynthia, dann als Kate... die Kurzform von Hekate... und als sie zwölf wurde, bestand sie darauf, dass ihre Freunde und Familie sie Temis nannten. Als ich sie zuletzt sah, hieß sie Aenea...« Ich hörte den Namen als Ah-nie-a.
    Der alte Mann verstummte und sah mich blinzelnd an. »Du denkst, das ist nicht wichtig, aber Namen sind wichtig. Wenn du nicht nach dieser Stadt benannt worden wärst, die ihren Namen nach einem uralten Gedicht bekam, wäre ich nicht auf dich aufmerksam geworden, und du wärst heute nicht hier. Du wärst tot. Futter für die Skarkwürmer im Großen Südmeer.
    Hast du das verstanden, Raul Endymion?«
    »Nein«, sagte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Spielt keine Rolle. Wo war ich?«
    »Als Sie das Kind zum letzten Mal gesehen haben, hat sie sich Aenea genannt.«
    »Ja.« Der alte Mann machte wieder die Augen zu. »Sie war kein besonders attraktives Kind, aber sie war... einmalig. Jeder, der sie kannte, konnte spüren, dass sie anders war. Besonders. Nicht verzogen, trotz all der albernen Namensänderungen. Nur... anders.« Er lächelte und ließ rosa Zahnfleisch sehen. »Hast du jemals jemanden kennen gelernt, der durch und durch anders war, Raul Endymion?«
    Ich zögerte nur eine Sekunde. »Nein«, sagte ich. Das stimmte nicht ganz.
    Dieser alte Mann war anders. Aber ich wusste, das hatte er nicht

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