Engel auf Abwegen
Glauben die New Yorker wirklich, dass völlig glattes Haar attraktiv aussieht?
Aber ich schweife vom Thema ab.
Als Erwachsene war Pilar ein ambitioniertes Mitglied der League. Sie näherte sich jedem Thema wie eine wilde Kriegerin und ging allen schrecklich auf die Nerven. Sie hatte vergessen, dass es möglich und entschieden wünschenswerter war, seine wahren Gefühle zu verbergen und stattdessen Ausdrücke wie »Gott segne dich« und »Bist du nicht süß« zu benutzen. Sie hatte vergessen, dass es eine Kunstform war, die wahre Bedeutung von Worten, die in ein Lächeln gehüllt waren, herauszufiltern – Mädchen aus Texas lernen das genauso, wie sie den Walzer für den
Debütantinnenball lernen. Sie hatte eine ziemlich direkte Ausdrucksweise angenommen und die Regeln anständigen Benehmens vergessen, die man wie einen geheimen Händedruck lernte und die von einer Generation an die nächste weitergegeben wurden.
Bitte missverstehen Sie das jetzt nicht. Es ist nicht so, dass texanische Frauen keine eigene Meinung haben und diese nicht vertreten. Das tun wir sehr wohl. Wir verpacken sie lediglich in Honig und in ein Lächeln und Umarmungen, bis eine scharfe Zurechtweisung sich wie ein Kompliment anfühlt und wir die wahre Bedeutung erst viel später mitkriegen, wenn sie uns wie ein linker Kinnhaken trifft. Getreu der Redewendung: Wenn eine texanische Frau dir sagt, fahr zur Hölle, denkst du, dass du die Fahrt obendrein noch genießen kannst.
»Frede, hörst du zu?«, fragte Pilar barsch und schwang ihr glattes, stumpf geschnittenes, schwarzes Haar energisch über ihre Schultern.
Nein schien keine gute Antwort zu sein (siehe obige Regeln über akzeptables Kommunikationsverhalten). Außerdem war ich wirklich mit den Gedanken woanders. Obwohl ich ziemlich sicher war, dass ich schwanger war, gab es keine offizielle Bestätigung dafür. Sobald ich dem Meeting entkommen konnte, würde ich das tun und das obligatorische Mittagessen in Brightlee, der Teestube der Junior League, auslassen. Man würde von mir erwarten, dass ich für den Rest des Nachmittags dort sein würde. Wenn ich früher ginge, würde mich niemand mehr stören und nach mir fragen, und ich müsste keine Telefonanrufe mehr beantworten. Ich würde nach Hause gehen und den Clear-Blue-Schwangerschaftstest machen, den ich auf dem Weg zum Meeting in der Drogerie gekauft hatte.
Ich durchforschte mein Gehirn nach Gesprächsfetzen, die mir noch im Gedächtnis haften geblieben waren.
Pilar seufzte. »Ich habe dich gefragt, wie viele Anträge für neue Projekte wir erhalten haben.«
»O ja, natürlich.« Ich rückte meinen cremefarbenen Kaschmirpullover zurecht, den ich elegant um meine Schultern drapiert hatte. Dann zückte ich den Notizblock mit meinem Namen. »Wir haben zwanzig Anträge erhalten, davon enthielten nur sechzehn einen detaillierten Vorschlag. Ich habe die Anträge auf fünf eingegrenzt.«
Im Raum machte sich ominöses Schweigen breit.
»Du hast sie eingegrenzt?«
Pilars Stimme klang herrisch, und die Frauen des Exekutivausschusses für neue Projekte horchten kurz auf, bevor sie sich wieder auf ihren Stühlen zurücklehnten. Ich riss mich zusammen und sah die Frauen nacheinander an. Lizabeth Mortimer war zweiunddreißig, obwohl sie jedem, der es wissen wollte, versicherte, sie sei achtundzwanzig. Zu ihrem Pech war sie im letzten Jahr auf der Willow Creek High School gewesen, als ich im ersten war, und ich wusste ganz sicher, dass sie nicht in den Zwanzigern sein konnte. Aber sie war mit diesem süßen Ramsey ausgegangen, der erst sechsundzwanzig war, und, ehrlich gesagt, welche Frau möchte schon älter sein als ihr Liebhaber? Es sei denn, sie ist vierzig und hat sich einen Sechsundzwanzigjährigen geschnappt, wozu ich ihr gratulieren würde!
Außer Pilar, Lizabeth und meiner Wenigkeit war da noch Gwen Hansen. Eigentlich hieß sie Gwendolyn Moore-Bentley-Baker-Hansen. Sie war dreimal verheiratet und geschieden, ging auf die vierzig und die Jahre zu, wenn die Mitglieder der JLWC zwangsläufig von einer aktiven Position zu einer mit Aufsichtsfunktion wechseln. Wir wussten
alle, dass sie mit fast jedem Typen in Willow Creek ins Bett gegangen war und niemals in die JLWC aufgenommen worden wäre, wenn sie nicht bereits zu dem Zeitpunkt, als sie Sex zu einer Sportart gemacht hatte, Mitglied gewesen wäre. Genau wie bei den Richtern des Obersten Gerichtshofs ist es très difficile , eine Frau loszuwerden, wenn sie erst einmal drin ist und nicht
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