Engel der Kindheit
Terrassentüre und blähte luftig den weißen Vorhang in das große Esszimmer.
„Na ihr Lieben, guten Morgen!“ Frisch rasiert und geduscht trat Georg zu seiner Familie, schob den geschwungenen Stuhl zurück und setzte sich Sonja gegenüber. Wie jeden Morgen schenkte Sonja ihnen aus der Thermoskanne den Kaffee in die hohen Tassen. Frisches Weizenbrot stand vor ihnen in einem geflochtenen Weidenkorb, Butter, Marmelade, Honig, Zucker und Milch standen daneben. Einig tauschten Sonja und Georg einen liebevollen Blick, bevor sie sich ihre Brote richteten.
„Engelchen, heute darf der Papagei nach Hause!“ An ihren strahlenden Augen sah er, wie sehr sie sich darüber freute. Beide Backen hatte Lena mit dem frischen Brot gefüllt und kaute genießerisch darauf.
„Du bist der tollste Paps, den es gibt!“ Für ihn waren ihre Augen der größte Lohn. Außer den Tieren, die von ihren Besitzern zu ihm gebracht wurden, verarztete er die Tiere, die seine kleine Tochter fand. Und sie fand beinahe jede Woche irgendein verletztes Tier in den Wiesen und Feldern, die hinter ihrem Grundstück begannen.
„Ich geh zur Schule!“ Mit einem Blick auf die Esszimmeruhr nahm Philipp die Dose mit dem gerichteten Pausenbrot an sich. Zusammen mit Nils ging er in die zweite Klasse.
„Engelchen, für dich wird es Zeit für den Kindergarten!“ Die Vesperdose ihrer Tochter tat Sonja in die Kindergartentasche, bevor sie zusammen ins Badezimmer gingen, um die Spuren der Nussnougatcreme zu entfernen.
Während Sonja und Lena im Bad waren, nahm Georg das Telefon von der niederen Kommode auf den Esstisch herüber, schlug die Nummer des Jugendamtes im Telefonbuch nach, und wählte die angegebene Nummer.
Nach mehrmaligem Läuten meldete sich eine Frauenstimme.
Schweren Herzens berichtete Georg von dem, was sich allzu oft in ihrem Nachbarhaus abspielte.
„Doktor Johle, vielen Dank für die Information, ich weiß, wie schwer einem dieser Anruf fällt, aber wir werden diskret vorgehen und Ihren Namen anonym behandeln, stets werden wir zum Wohle des Kindes entscheiden!“ Nach einer kurzen Verabschiedung beendeten sie das Telefonat.
Besorgt betrat Sonja das Esszimmer, sie hatte Lena in den Kindergarten gebracht, der nur ein paar Häuser weiter von ihrem Haus entfernt war.
„Ich habe angerufen! Sonja, es musste sein!“ Ernst blickt er sie an.
„Ich weiß, ich habe nur solche Angst, dass Nils in ein Heim kommt! Daran würde er zu Grunde gehen! Er ist doch so ein sensibler Junge, seine Mutter liebt ihn über alles! Hoffentlich wird alles gut!“ Niedergeschlagen setzte sie sich neben Georg, er ergriff ihre Hände und streichelte sie sacht.
„Du hast mit deinen Argumenten ja Recht, aber stell’ dir mal vor, der Keller bringt den Jungen um! Wir machen uns unser restliches Leben Vorwürfe, nicht gehandelt zu haben. Ich halte es nicht aus, wenn ich mit anhören muss, wie der Junge misshandelt wird! Ich kann es nicht, Sonja! Ich kann es einfach nicht!“ Tiefe Falten hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Vor unterdrückten Regungen darin zuckte sein Gesicht.
„Es ist schrecklich! Ich kann es doch auch nicht mit anhören! Wenn Frau Keller nur das Geld nehmen und mit Nils irgendwo neu anfangen würde!“ Betreten sah Sonja zu Boden, sie verstand die Frau nicht, die lieber mit ansah, wie ihr einziges Kind geschlagen wurde, als endlich zu handeln.
„Sie ist zu loyal! Sie hat geschworen in guten wie in schlechten Zeiten zu ihrem Mann zu halten, daran hält sie sich eisern. Es ist ein Teufelskreis, den nur eine unparteiische Person durchbrechen kann, wenn überhaupt!“ Bedauernd sah er auf seine Armbanduhr. „Liebling, ich muss in die Praxis, die ersten Patienten warten sicherlich bereits!“
Lahm nickte Sonja ihrem Mann zu, der das Esszimmer verließ.
Wenn sie doch nur helfen könnte! Die Kellers wohnten neben ihnen, seit sie das große Einfamilienhaus, mit der Tierarztpraxis, hier erbaut hatten.
Von ihren verstorbenen Eltern hatte Frau Keller das kleine Häuschen geerbt, in dem sie zu dritt wohnten. Bis vor drei Jahren arbeitete Herr Keller bei einer Werft als Schiffsbauer. Die Werft fusionierte mit einer größeren, wurde zusammengelegt, viele der Arbeiter verloren ihre Arbeitsplätze. Der Neubau und die Reparaturen der Schiffe im Ausland waren billiger, als hier in Deutschland. Nur die notwendigsten Arbeiten wurden in den Trockendocks verrichtet. Im ganzen Hafen fand er keine neue Anstellung. Dafür war er zu alt! Inzwischen war er
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