Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Zurechtweisung ließ
nicht lange auf sich warten. »Wenn hier jemand im Stadtgefängnis landet, dann mit
Sicherheit nicht ich«, stellte die Stimme hinter seinem Rücken kategorisch fest,
in einem Tonfall, wie er dem Scharfrichter nie zu Ohren gekommen war. »Darauf gebe
ich Euch Brief und Siegel.«
    »Wer denn sonst?«
    »Meine Sorge, nicht die Eure.«
    »Heißt das, Ihr habt vor, die Angelegenheit
nicht auf sich …«
    »Genau das heißt es, Meister Flegler!«, vollendete
die Stimme brüsk. »Ich werde weder rasten noch ruhen, bis der kleinen Agnes Gerechtigkeit
widerfahren ist. Und wenn ich die ganze Stadt auf den Kopf stellen muss, um den
Schuldigen seiner gerechten Strafe zuzuführen.«
    »Ich wüsste nicht, was es da zu bestrafen gibt!«,
trotzte Friedhelm, arbeitete sich bis zur Längsseite der Grube voran und bückte
sich, um den Leichnam empor zu hieven. Wie vor ein paar Stunden kam er ihm auch
jetzt viel zu leicht und beinahe zerbrechlich vor, weshalb er nach wie vor Skrupel
hatte, ihn anzufassen. »Das arme Ding hat so viel Lauge getrunken, dass man halb
Rothenburg hätte vergiften können – wozu also Nachforschungen betreiben, wenn längst
feststeht, welche Tortur die kleine Egerter durchlitten hat!«
    »›Tortur‹ – Kompliment, Meister Flegler, so
kommen wir der Sache schon näher.«
    Hätte Friedhelm nicht genug damit zu tun gehabt,
den Leichnam an die Erdoberfläche zu befördern und ihn am Rande der Grube abzulegen,
wäre seine Erwiderung deutlich heftiger ausgefallen. »Wollt Ihr etwa damit sagen,
dass …«, begehrte er auf, fand im Angesicht der Gestalt, welche aus dem Schneegestöber
hervortrat, den Leichnam emporhob und ihn wie ein Neugeborenes in den Armen barg,
jedoch nicht die richtigen Worte. »Dass die Kleine …«
    »Dass dieser Kasus sich von all den anderen,
bei denen Ihr mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden habt, unterscheidet. Dieses
Mal, fürchte ich, geht es nicht nur darum, der Wissenschaft zu dienen, indem ein
Leichnam in seine Einzelteile zerlegt wird. Wie etwa die sterblichen Überreste eines
Gehenkten, für die sich außer dem Scharfrichter kein Mensch interessiert. Oder die
Leiche eines Bettlers, Vaganten oder fahrenden Sackpfeifers, welche man lieber heute
als morgen loswerden möchte, und sei es nur, um die Pfaffen zu besänftigen, welche
behaupten, geweihte Erde sei nur etwas für ehrbare Bürger.« Die Gestalt, bis auf
ihre Stiefel in einen dunklen Umhang gehüllt, dessen Kapuze bis über die Stirn reichte
und ihre Gesichtszüge nahezu komplett verhüllte, brach in höhnisches Gelächter aus.
›Ehrbar‹ – wenn ich das schon höre!« 
    »Ihr tut besser daran, Euch nicht so weit aus
dem Fenster zu lehnen, sonst …«
    »Sonst was? Sind fünf Pfund Heller [22] pro Leichnam etwa
nicht genug?«
    »Doch.«
    »Freut mich zu hören. Ein fürstliches Entgelt,
bedenkt man, dass ich Euren Sohn vom Fleckfieber kuriert habe.«
    »Das habt Ihr«, stimmte Friedhelm zerknirscht
zu, kletterte aus der Grube und griff zur Schaufel, um die Spuren seines Tuns zu
beseitigen. »Weshalb Ihr auch stets auf mich zählen könnt.«
    »Aber?«, lauerte die Gestalt, das verschnürte
Bündel fest an sich gepresst, und ließ den Scharfrichter nicht aus den Augen. »Wo
drückt der Schuh, Meister Flegler?«
    »An allen Ecken und Enden, wenn Ihr es genau
wissen wollt. Im Klartext: Ich mache mir allmählich Vorwürfe, und wisst Ihr auch,
warum? Weil ich so töricht war, Euch in die Geheimnisse der menschlichen Anatomie
einzuweihen! Sonst wäre es bestimmt nicht so weit gekommen.«
    »Ich möchte der Wissenschaft dienen, sonst niemandem.«
    »Kommt drauf an, was man unter Wissenschaft
versteht. Und ob Ihr in Eurem Bestreben, ihr dienlich zu sein, nicht zu weit gegangen
seid.« Im Begriff, eine Schaufel Erde in die leere Grube zu befördern, hielt der
Scharfrichter unvermittelt inne und lauschte dem lang gezogenen Heulen, welches
aus nördlicher Richtung an sein Ohr gedrungen war. Die Windböen waren mittlerweile
abgeklungen und je länger er die Ohren spitzte, desto mehr schien sich seine Vermutung
zu bestätigen.
    »Keine Angst, die sind mindestens noch eine
Achtelmeile [23] entfernt.
Wölfe haben mehr Angst vor uns Menschen als wir vor ihnen.«
    »Angst oder nicht, was mich betrifft, möchte
ich lieber kein Risiko eingehen!«, entgegnete Friedhelm, nahm seine Schaufel und
war einen Wimpernschlag später im Unterholz verschwunden.
    »Ganz wie Ihr wollt!«, rief ihm die Gestalt
hinterher, barg den

Weitere Kostenlose Bücher