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Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall

Titel: Engel der Rache - Bruder Hilperts fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Gleichwohl war ein Ende der Arbeiten nicht in Sicht, ungeachtet der Pilger,
die es der Heilig-Blut-Reliquie wegen hierher zog und die dem Rat, unter dessen
Ägide die Baumaßnahmen durchgeführt wurden, eine zusätzliche Einnahmequelle in Form
von Spenden, Ablassgeldern und Schenkungen bescherten.
    Berengar blickte sich skeptisch um. In knapp
zwei Wochen, am Ende der Fastenzeit, würden die Arbeiten wieder beginnen. Bis dahin
würde sich niemand blicken lassen, mit Ausnahme der Glasbläser, aus deren Bauhütte
das Geräusch von Stimmen drang. Bildhauer, Steinbrecher, Steinmetze, Maurer, Zimmerleute,
Dachdecker und einen Schmied suchte man hingegen vergebens, was angesichts der Witterung
ja auch kein Wunder war.
    Auf Wunder ganz anderer Art hofften dagegen
die Jakobspilger, von denen Berengar bereits mehrere gesichtet hatte. In der Karwoche
würde es noch viel schlimmer werden, Hunderte, wenn nicht gar Tausende würden sich
dann auf den Straßen drängen, nicht zu jedermanns Freude, wie man sich gut vorstellen
konnte. Berengars Miene wurde immer verdrießlicher. Je länger er über das Thema
nachdachte, desto mehr schienen sich seine Vorbehalte gegenüber den Pfaffen im Allgemeinen
und dem Reliquienkult im Besonderen zu bestätigen. Beileibe kein unfrommer Mensch,
hatte er sich dennoch ein gesundes Maß an Skepsis bewahrt, besonders was die vermeintliche
Wirkung von Reliquien betraf. Er war eben ein Zeitgenosse, der nur an das glaubte,
was er sah, weshalb er die Mär vom Abendmahlwein, der sich wie durch ein Wunder
in Blut verwandelt habe, schlicht und ergreifend für Humbug hielt. Mit der Naivität
des gemeinen Mannes konnte man allzeit gute Geschäfte machen, mit der Verzweiflung
der unheilbar Erkrankten noch viel mehr.
    Beinahe steif vor Kälte, klatschte Berengar
laut und vernehmlich in die Hände, worauf sich der Rabenschwarm in die Lüfte erhob,
laut krächzend die Türme von Sankt Jakob umkreiste und ein Gekreische veranstaltete,
dass einem Hören und Sehen verging. Der Vogt hörte und sah es mit Verdruss, hatte
er doch vom Warten auf seine Verlobte und ihre Tante die Nase gestrichen voll. Alles,
aber auch rein alles schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Nicht genug damit,
dass Irmingardis bei den Dominikanerinnen einquartiert worden war, hatte er mit
einer Kammer vorlieb nehmen müssen, in der es von Läusen und Flöhen nur so wimmelte
und wo, gelinde gesagt, das Essen vom Inhalt des Futtertroges vor der Tür kaum zu
unterscheiden war. Zu allem Überfluss hatte die alte Vettel, welche sich Priorin
schimpfte, Irmingardis völlig für sich in Beschlag genommen, was seiner Laune, die
sich mit den Unbilden der Witterung auf das Trefflichste ergänzte, in der Tat nicht
förderlich war.
    Dennoch blieb ihm nichts anderes übrig als zu
warten, ausgerechnet hier, vor dem Portal von Sankt Jakobus, wo er sich seit über
einer halben Stunde die Beine in den Bauch stand und beinahe schon wie ein Eisheiliger
vorkam. Berengar stieß eine halblaute Verwünschung aus. Schnee, Schnee und abermals
Schnee. Eisflächen, die sich wie ein ehernes Panier an das Pflaster krallten. Klirrender
Frost und zu allem Überfluss auch noch ein schneidender Wind, der durch die nahe
Klostergasse und über die Gräber auf dem Kirchhof unmittelbar neben dem Ostchor
fegte. Trister hätte die Szenerie, die sich ihm darbot, bestimmt nicht ausfallen
können.
    Um sich aufzuwärmen, aber auch, um seine auf
die Priorin abzielenden Rachegelüste zu zügeln, stülpte Berengar seine Kapuze über
und begann vor dem südlichen Querschiff auf und ab zu stiefeln. Weit und breit kein
Mensch zu sehen, weder ein Kirchgänger, noch ein Kärrner, noch irgendeiner der Tagelöhner,
die für ein paar Pfennige in der Woche Handlangerdienste leisteten. Zu verdienen
gab es heuer ohnehin nicht viel, für einen Steinmetz höchstens 10 Pfennige am Tag.
Grund genug, es bei dieser Kälte mit der Arbeit nicht allzu genau zu nehmen und
Zuflucht in einer der zahlreichen Schenken zu suchen. Ein Ort, der Berengar unter
den gegebenen Umständen wie das irdische Paradies erschien.
    Kaum war er in Versuchung geraten, musste er
wieder Abstand davon nehmen. Schuld waren nicht etwa Skrupel gegenüber Irmingardis
oder ihrer Tante, auf deren Gesellschaft er liebend gerne verzichtet hätte. Der
Grund für den Sinneswandel war ein anderer, nämlich die Schritte, welche er plötzlich
hinter sich hörte. Doch Berengar, auf Erlösung von seinen Qualen hoffend, hatte
sich zu früh gefreut.

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