Engel der Schuld Roman
paßte.
Das machte Ellen immer noch zu schaffen, wie ein Splitter unter ihrer Haut, den sie einfach nicht zu fassen kriegte. Warum sollte er wegen des Wagens lügen? Warum stritt er ab, daß er ihn an Olie Swain verkauft hatte, obwohl der Beweis klar und deutlich in den Akten der DMV stand.
Unglücklicherweise war Olie Swain nicht mehr verfügbar, um das Rätsel aufzuklären. Da ihm wegen der Verletzung seiner Bewährungsauflagen eine Gefängnisstrafe sicher war, ganz zu schweigen von den möglichen Anklagen im Zusammenhang mit Joshs Verschwinden, hatte Swain in der Untersuchungshaft Selbstmord begangen. Die Forensiker hatten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln den Lieferwagen untersucht und nichts gefunden. Kein Haar, keine Faser von einem Fäustling, nichts, was Josh gehörte. Olie hatte seine Unschuld bis zum Ende beteuert, sie mit Blut an seine Zellenwand gekritzelt.
Ellen durchquerte den Bereitschaftsraum des Polizeireviers, in dem sich Akten auf Schreibtischen türmten und ununterbrochen Telefone klingelten, und ging direkt zu Holts Büro. Die Tür zu seinem Vorzimmer stand offen, trotzdem blieb Ellen im Gang stehen und klopfte gegen den Türrahmen, bevor sie den Kopf hineinsteckte. Mitchs Verwaltungsassistentin Natalie Bryant wandte sich von ihrem Aktenschrank zu ihr um. Ihr rundes mahagonifarbenes Gesicht war böse, und die Augen hinter der roten Brille funkelten. Sie war bereit, jedem Eindringling die Nase abzubeißen. Aber als sie sah, um wen es sich handelte, verschwand dieser Ausdruck und machte derselben Erschöpfung Platz, die auch Ellen empfand.
»Mädchen, sag mir, daß du diesen Mann plattquetschst wie eine Küchenschabe, denn etwas anderes ist er nicht«, sagte sie und stemmte eine Faust in eine wohlgerundete Hüfte.
»Ich werde mein Bestes tun«, versprach Ellen.
»Ich würde gern mein Bestes auf seinen Kopf niedersausen lassen.«
»Ist Mitch da?«
»Er hat damit gerechnet, daß du vorbeikommst. Geh rein.«
»Danke.«
Der Chief der Polizei von Deer Lake saß hinter seinem Schreibtisch und sah so aus, wie sich Ellen vorstellte, daß Harrison Ford nach einer wochenlangen Sauftour aussehen müßte: Die braunen Augen waren blutunterlaufen und hatten dunkle Ringe, die hageren Wangen waren von Bartstoppeln überschattet. Er hatte den Knoten seiner Krawatte gelockert und sich die Haare mit den Fingern gekämmt, so daß sie ihm in Büscheln vom Kopf abstanden.
»Also, jetzt ist es amtlich«, sagte sie. »Ich bin beauftragt, den Drachen zu töten.«
»Gut.«
In seiner Antwort lag mehr Zuversicht, als sie im Augenblick fühlte. Ellen sah sich kurz im Büro um. Hier gab es keine Ego-Wand, die mit Plaketten und Belobigungen gepflastert war, die er im Lauf der Jahre bekommen hatte, obwohl sie wußte, daß er davon genügend besaß. Er war ein Dutzend Jahre lang Top-Detective bei der Polizei von Miami gewesen, bevor er nach dem Tod seiner Frau und seines kleinen Sohnes, die bei einem Überfall auf einen Supermarkt getötet worden waren, nach Deer Lake gekommen war.
»Ich hatte mein kleines Tête-à-tête mit Wright und seinem Anwalt. In groben Zügen habe ich ihm gesagt: Gestehe oder . . . Als ob das was nützen würde.«
»Oh, wenn doch die schönen Zeiten der Gummiknüppel wiederkämen . . .«
»Ja«, sagte sie spöttisch. »Menschenrechte können so lästig sein.«
»Für mich ist er gar kein Mensch.« Er grinste, als hätte er gerade einen Hoffnungsstrahl entdeckt. »He, eine Lücke! Vielleicht brauche ich überhaupt keine Rechtfertigung.«
»Ich will versuchen, heute abend mit Wrights Frau zu reden«, sagte Ellen. »Ist sie noch im Fontaine?«
»Ja. Die Forensiker sind immer noch in ihrem Haus. Karen wird rund um die Uhr beobachtet, für den Fall, daß sie an der Entführung beteiligt war. Ich glaube, sie hatte keine Ahnung, was ihr Mann machte. Sie ist sowieso nicht gerade eine Leuchte. Jetzt ist sie so durcheinander, daß sie kaum noch funktioniert. Ich habe gar nichts bei ihr erreicht, aber vielleicht hast du von Frau zu Frau mehr Glück.«
»Hoffen wir's.«
Sie hörte das Telefon im Vorzimmer klingeln, aber es wurden keine Anrufe zu Mitch durchgestellt. Natalie schottete ihn ab.
Die vergangenen beide Wochen waren für ihn die Hölle gewesen. Als Chief der Polizei von Deer Lake und einziger Detective der dreißig Mann starken Truppe hatte er die Last der Suche nach Josh auf sich genommen und die einer Untersuchung, die praktisch rund um die Uhr lief. Und dabei wurden
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