Engel der Schuld Roman
stellvertretende Direktor, einige Studenten – es fiel auf, daß Todd Childs nicht dabei war. Karen Wright, bildschön und zerbrechlich, in Zartrosa. Und rundherum die Presse.
Von seinem luftigen Platz aus konnte Grabko buchstäblich auf die Anwälte hinunterschauen – die heimliche Freude eines jeden Richters. Ellen stand am Tisch der Staatsanwaltschaft, mit vorgeschobenem Kinn, die Hände zu Fäusten geballt. Sie war wütend, zitterte fast vor Zorn, darauf hätte Jay gewettet. Und er hatte das ungute Gefühl, daß diese Wut der Auseinandersetzung zuzuschreiben war, die kurz zuvor im Richterzimmer stattgefunden hatte, wo Grabko wohl seine Entscheidungen zu den für heute gestellten Anträgen der Anwälte bekanntgegeben hatte.
Costello hatte zwei erwähnenswerte Anträge eingereicht und sie vor der Presse hinausposaunt: einen Antrag auf Abweisung der Klage und einen Antrag auf Nichtzulassung der Identifizierung bei der Gegenüberstellung. Er stand mit seinem Kollegen am Tisch der Verteidigung, bekleidet mit einem eleganten tabakbraunen Maßanzug. Sein schwarzes Haar glänzte bläulich im gleißenden Licht, seine Miene drückte ein wenig zu große Zuversicht aus.
Großer Gott, war Grabko tatsächlich so leicht zu manipulieren? Hatte die Nachricht vom Tod des Jungen seine Meinung so leicht ins Wanken gebracht wie die vieler Reporter, die in den Stunden vor dem Morgengrauen am Schauplatz gewesen waren? Seine Entscheidung über die Abweisung der Klage mußte, unter der Voraussetzung der Verfassungsmäßigkeit der Verhaftung, auf dem Beweismaterial basieren, aber das hieß nicht, daß ihn nicht auch andere Faktoren, bewußt oder unbewußt, beeinflus sen konnten. Wenn Grabko von Costellos Prominenz so hingerissen war, und er hatte ohnehin schon zur Seite der Verteidigung tendiert . . .
Angst krallte sich in Jays Eingeweide. Es war ihm nicht gelungen, die Bilder des Morgens aus dem Kopf zu klammern. Er hatte schon Hunderte von Tatortfotos gesehen, einige unvorstellbar grauenhafte darunter, aber er war noch nie direkt an einem Tatort gewesen.
Den Anblick des kleinen leblosen Körpers würde er nie vergessen, würde nie das schmerzhafte, namenlose Gefühl vergessen, das ihn wie ein Messer durchbohrt hatte, das gepeinigte Schluchzen der Mutter des Jungen. Es gab keine Worte, die die verzweifelte Spannung beschreiben konnten, die die kalte Luft an der Straße nach Campion verdichtet hatte. Beißend, flüchtig wie eine giftige chemische Wolke, die sich beim kleinsten Funken entzünden und explodieren konnte.
Er wußte, daß das alles Teil des großen Planes war, den Wright und seine Partner entworfen hatten. Ein Zug, der schockieren sollte, eine herausgestreckte Zunge für ihre Gegner im Spiel. Einige steigen durch S Ü NDE auf, und einige kommen durch Tugend zu Fall. Und wer war ein besserer Vertreter der Tugend als die Polizei, ein besserer als die Anklage, ein besserer als ein Kind? Mit Mord verfolgten sie das Ziel, das Justizsystem zu besiegen und dabei die Diener des Systems zu zerstören. Und obendrein zwei unschuldige Familien.
Das unverhohlen Böse daran machte ihn sprachlos.
Und immer weniger Menschen waren bereit zu glauben, daß der Angeklagte, der da am Tisch stand, fähig war, dieses Böse zu verkörpern. Das Böse sollte häßlich sein, sofort erkennbar. Nicht ein angesehener Collegeprofessor, der straffällig gewordene Jugendliche auf den rechten Weg zurückführte. Nicht ein attraktiver, ruhiger Mann in einem konservativen blauen Anzug.
»Nehmen Sie Platz«, tönte Grabko. Er setzte eine Halbbrille auf seine Nase und studierte ein Dokument, als hätte er keine Ahnung, was für ein Fall jetzt aufgerufen würde. »Wir sind hier in der Sache Der Staat gegen Dr. Garrett Wright. Das ist eine allgemeine Anhörung. Für diejenigen auf der Galerie, die mit unserem System nicht vertraut sind: Diese Anhörung entspricht einer Vorverhandlung, wobei die Last der Beweisführung beim Staat liegt. Er muß aufzeigen, daß berechtigter Anlaß zu der Annahme besteht, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Verbrechen tatsächlich begangen hat und ihm der Prozeß gemacht werden soll.
»Verteidiger«, verkündete er, »bitte nennen Sie Ihre Namen fürs Protokoll.«
Costello und sein Lakai erhoben sich gleichzeitig: »Anthony Costello, Euer Ehren. Mir zur Seite wird mein Partner Mister Dorman stehen.«
»Für die Staatsanwaltschaft.«
»Stellvertretende Bezirksstaatsanwältin Ellen North, Euer
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