Engel der Schuld Roman
beschuldigen?«
»Miss North, halten Sie an ihrer Komplizentheorie fest?«
»Miss North, ist es wahr, daß Ihre Zeugin von der Gegenüberstellung ihre Identifizierung von Wright widerrufen hat?«
»Miss North!«
»Miss North!«
Die hektischen Stimmen hallten durch Ellens Bewußtsein, lauter und lauter und lauter, wie die Stimmen in ihrem Alptraum, bis sie nur noch Lärm hörte.
»Aufhören!« brüllte sie und drehte ihr Gesicht in den brutal heißen Strahl der Dusche, versuchte, die scharfen, schmerzlichen Bilder ihrer Erinnerung wegzuwaschen. Der Leichnam eines Kindes, die violetten Würgemale einer Kette um seinen Hals. Ein Kinderleichnam, und an den gestreiften Pyjama, den er trug, war ein Streifen Papier gesteckt. Eine Botschaft, die bis ins Mark traf: einige steigen durch S Ü NDE auf, und einige fallen durch Tugend. Der Körper eines Kindes, an den Straßenrand geworfen wie ein geplatzter Reifen, liegengelassen vor dem Schild, das Besucher in Campion willkommen hieß: »Ein freundlicher Platz zum Wohnen.«
Der schwarze Humor, die perverse psychologische Absicht, den Körper genau dort und zu genau diesem Zeitpunkt auftauchen zu lassen, machten Ellen fast so krank wie der Mord an sich. Die Botschaft drückte Arroganz, Respektlosigkeit gegenüber den beteiligten Polizeistellen, eine gefühllose Respektlosigkeit gegenüber dem Leben, dem Anstand, den Werten einer Kleinstadt aus. So wie die Nachricht in dem Buch Verachtung für die Heiligkeit und die Sicherheit des Gerichtsgebäudes ausgedrückt hatte.
Das Paket der Verbrechen, aus denen Das Spiel bestand, gehörte zu den schlimmsten, mit denen sie je zu tun gehabt hatte. Mit der Entdeckung von Dustin Hollomans Leiche hatte die ohnehin schwierige Situation ihren kritischen Punkt erreicht.
Sie konnte immer noch das hysterische Schluchzen der Familie Holloman hören, die zitternden Stimmen der Cops. Selbst der Gerichtsmediziner, der reizbare Stuart Oglethorpe, hatte geweint, als man Dustins leblosen Körper in den zu großen Leichensack gesteckt und in den Leichenwagen geladen hatte.
Ellen hatte sich beherrscht, so gut es ging, hatte sich bemüht, trotz der Gefühle, die sie zerrissen, ein tapferes Gesicht zu machen. Sie repräsentierte die Gerechtigkeit. Und wenn jemand angesichts des Bösen Stärke zeigen mußte, dann war es die Gerechtigkeit. Die Menschen sahen zu ihr auf, zur Justiz, erwarteten, daß sie die Dinge ordnete, die Missetaten sühnte. Sie mußte stark bleiben.
Eine sehr willkommene Gefühllosigkeit hatte sich über sie gesenkt und eine Schutzschicht um sie gelegt. Die wundersamen Selbstschutzmechanismen der menschlichen Psyche traten in Aktion. Sie hatte alles Nötige erledigt, sich mit Steiger und Wilhelm beraten, während die Forensiker vom mobilen Labor des BCA den Schauplatz im grellen weißen Schein der tragbaren Halogenlichter untersuchten. Aus dem Augenwinkel hatte sie einzelne Gesichter in der herumstehenden Menge registriert. Henry Forster von der Star Tribune. Ein Korrespondent von der Dateline. Jay.
Er war wegen der Story gekommen. Die Zynikerin in ihr erinnerte sie daran, aber es erklärte nicht sein düsteres Gesicht oder seinen Tonfall, als einige der Reporter ihn nach seiner Meinung fragten, weil sie sonst von niemandem Antworten bekamen.
»Es ist eine Tragödie«, hatte er mit rauher, leiser Stimme gesagt. »Nichts, was ich sagen kann, würde es weniger sinnlos machen.«
Seine Worte verfolgten sie, als sie sich für den Tag zurechtmachte, ihr Haar zu einem Knoten zurückkämmte und ihr bestes schwarzes Kostüm aus dem Schrank holte. Dustin Hollomans Tod war eine Tragödie, die nirgendwo hätte passieren dürfen, am allerwenigsten aber hier. Das war ein Verbrechen gegen die Bürger von Park County, Mord an einer kollektiven Unschuld.
Unwissenheit ist nicht Unschuld, sondern S ü nde.
Garrett Wright und sein Schatten betrachteten die Unschuld dieses Ortes vielleicht als Ignoranz, aber die Sünde war die ihre, und sie würden dafür bezahlen müssen. Sie würden, verdammt noch einmal, bezahlen. Der Schwur brannte in Ellens Kopf, in ihrem Herzen. Sie würde dafür sorgen. Sie hatte nicht um diese Schlacht gebeten, hatte sie nicht herbeigerufen, aber sie würde sie mit allem, was sie hatte, schlagen.
Sie scherte sich einen Dreck darum, ob ihr Reporter folgten, und fuhr quer durch die Stadt zu dem neuen Bürokomplex, wo Costello für die Zeit seines Aufenthalts Räume gemietet hatte. Die Extravaganz machte sie krank. Das war
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