Engel der Verdammten (German Edition)
Ich fange an, das zu bezweifeln. Wichtiger scheint mir das Gefühl von Macht zu sein, den anderen zu beherrschen und ihm den eigenen Körper aufzuzwingen. Das Gefühl vermeintlicher Stärke im Moment, da all der Druck und Zorn sich aufzulösen scheinen.«
Sabine sah ihn an. »Vermutlich hast du recht. Ich frage mich oft, was einen Mann zu einer Prostituierten treibt. Ist der mechanische Akt denn genug? Und wenn ja, warum braucht er dann überhaupt noch den anderen Körper, der oft nur ein paar Minuten benutzt, bezahlt und dann vergessen wird?«
Sie zog ihren Pullover glatt und schlüpfte in die Lederjacke.
»Gehen wir«, sagte er, und ein erwartungsvolles Lächeln huschte über seine Miene.
»Ja, gehen wir«, stimmte ihm Sabine zu und eilte leichtfüßig hinter ihm die Treppe hinunter. Er saß bereits auf der Hayabusa und startete den Motor, als sie die Haustür hinter sich ins Schloss fallen ließ.
»Hallo, Sabine«, erklang die Stimme eines jungen Mannes. »Wie geht es dir? Wie war dein erster Tag wieder bei der Kripo? Gibt es einen interessanten Fall?«
Sie fuhr herum und musterte den jungen Schriftsteller, der Tür an Tür mit ihr wohnte.
»Hallo, Lars«, gab sie wortkarg zurück und hob die Hand zum Gruß. Dann schwang sie sich hinter Peter von Borgo auf das Motorrad. Ihre Arme umschlossen seine Mitte, und schon schoss die schwere Maschine die Lange Reihe entlang, während Lars ihnen mit offenem Mund nachblickte.
Für eine Weile lehnte sie ihre Wange an den Rücken des Vampirs, der wie üblich nur ein dünnes Hemd trug, und genoss den Fahrtwind, der an ihrem Pferdeschwanz zerrte. Sie hatte es aufgegeben, ihn um einen Helm zu bitten, und konnte nur hoffen, dass sie nicht von einem ihrer Kollegen angehalten werden würden, was peinlich und teuer werden konnte. Nun ja, vielleicht würden sie die Kollegen vom LKA beim ersten Mal auch nur rügen. Der Gedanke, dass der Vampir in einen Unfall verwickelt werden oder gar die Beherrschung über die Maschine verlieren könnte, kam ihr nicht. Seltsam. Sie war an sich nicht leichtsinnig, und dennoch schienen so triviale menschliche Unzulänglichkeiten nicht zu dem übernatürlichen Wesen vor ihr zu passen, das in einem Höllentempo durch das nächtliche Hamburg brauste.
Plötzlich fassten die Bremsen, und sie wurde gegen seinen Rücken gedrückt. Die Maschine kam in nur wenigen Augenblicken zum Stehen.
»Komm!« Peter von Borgo löste ihre Hände um seine Mitte und schwang sich vom Sattel.
»Was ist? Wo sind wir hier?«
Ein wenig verwirrt sah sich Sabine um. Sie hatte erwartet, sie würden die Stadt verlassen, um die Weite und den frischen Geruch des herbstlichen Landes zu genießen.
Noch ehe der Vampir antwortete, wusste sie, wo sie sich befanden, und ihr war auch klar, was ihn an diesen Ort geführt hatte. Sie unterdrückte einen Seufzer.
»Du willst sehen, wo sie gefunden wurde, nicht wahr?«
Er nickte mit einem Lächeln. »Du doch auch, nicht wahr? Nur so können wir uns ein Bild von dem Fall machen.«
Die Kommissarin verzichtete auf den Hinweis, dass dies nicht sein Fall, und es auch nicht seine Aufgabe war, ihn zu lösen. Streng genommen durfte sie ihm ja nicht einmal über die laufenden Ermittlungen berichten. Sie wusste, dass ihn ihre Argumente nicht beeindrucken würden, und außerdem war sie neugierig, ob er mit seinen außergewöhnlichen Sinnen etwas entdecken konnte, was den Kripoleuten entgangen war.
Peter von Borgo folgte der Kommissarin, die sich aufmerksam umsah.
»Weißt du denn, wo genau der Tatort ist?«, erkundigte er sich.
»Ich denke, ich finde ihn. Ich habe mir die Fotos angesehen. Allerdings wurde sie woanders ermordet und dann in den Park gebracht. Hier drüben unter dem Ahorn, dort neben den Rosen hat sie gelegen.«
Sabine zog ihn zu dem frei stehenden Baum, dessen rote Blätter sich im Verlauf des Herbstes noch kräftiger färben würden. Das Gras war zertrampelt, doch der Fundort der Leiche nicht mehr abgesperrt. Die Spurensicherung war längst mit ihrer Arbeit fertig.
»Hier hat sie gelegen. Auf dem Rücken, der linke Arm neben ihrem Körper, der rechte abgewinkelt an ihrem Kopf, die Beine ausgestreckt.«
Peter von Borgo ließ sich in die Hocke sinken und nahm die Witterung auf. Er erinnerte Sabine ein wenig an einen der Spürhunde, die sie immer wieder auf der Suche nach toten oder verschwundenen Personen einsetzten.
»Und? Was kannst du riechen?«, fragte sie neugierig. Er reagierte nicht. Er war wie erstarrt, den Blick
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