Engel der Verdammten (German Edition)
bemerkte nur flüchtig, wie er den Leuchtturm passierte. Unerkannt lief er weiter durch den dunklen Park, in dem nur noch vereinzelt Menschen unterwegs waren, meist um ihre Hunde auszuführen. Der eine oder andere Vierbeiner witterte den Wolf, klemmte den Schwanz ein und eilte zu seinem Menschen, der jedoch weder von der Furcht seines Hundes noch von der lauernden Gefahr Notiz nahm, die ganz in ihrer Nähe durch die Büsche schlich.
Der Wolf ließ die Parkanlagen hinter sich, doch es gab noch immer genug Gärten, um ungesehen voranzukommen. Dann lief er durch düstere Höfe, bis ihm wieder der Geruch von feuchtem Gras, von Rosen und Kräutern in die Nase stieg, als er sich dem botanischen Garten Planten un Blomen näherte. Seine Pranken flogen durch den Apothekergarten, über Rasenflächen und durch den von Blütenduft schweren Rosengarten. Es wurde Zeit, sich wieder zu wandeln. Noch eher er die in den Nachthimmel aufragenden Gebäude des Congress Centers erreichte, verließ er den Park. Er überquerte die Bahnlinie und die Straße, über die zu jeder Tages- und Nachtzeit der Verkehr donnerte, und näherte sich dem Gebäude der Staats- und Universitätsbibliothek. Als grünlicher Nebel floss der Vampir durch den Türspalt und nahm auf der anderen Seite wieder seine menschliche Gestalt an. Das Gebäude war leer und nur von Notlichtern matt erleuchtet. Draußen konnte er den Verkehr über die regennasse Straße zischen hören. Nachdem er sich rasch einen Überblick über die Abteilungen verschafft hatte, steuerte er ein Regal an, dessen Bücher jene exotisch wirkenden Schriftzeichen zierten, die er suchte. Er nahm sich drei Wörterbücher mit zu einem Tisch und blätterte sie durch. Sein Blick huschte rasend schnell über die Seiten. Er hatte sich die Schriftzeichen nicht notiert, doch sie standen ihm auch so klar vor Augen. Es dauerte nicht lange, bis er die Botschaft entschlüsselt hatte.
Interessant, sehr interessant!
Peter von Borgo klappte die Bücher zu und verharrte dann reglos auf seinem Platz, den Blick ins Nichts gerichtet. Lange saß er so da. Die Stunden verrannen. Erst kurz bevor die Nacht dem Morgen wich, fasste er einen Entschluss. Er verließ das Bibliotheksgebäude und warf einen Blick in den Himmel, der sich im Osten bereits deutlich aufhellte. Er musste sich beeilen! Der Vampir machte sich auf den Weg. Er lief gegen den immer heller werdenden Morgen an, doch seine Gedanken galten noch immer der Botschaft, die eine Hand hastig auf den Arm eines Kindes gekritzelt hatte.
Kapitel 2
Zurück im Präsidium
Beschwingt lenkte Sabine ihren alten blauen Passat in den Burggraben, wie die Tiefgarage allgemein genannt wurde, die sich unter dem sonnenförmigen Präsidiumsgebäude des LKA mit seinem Rundbau und den zehn ›Strahlen‹ erstreckte. Sie brachte das Kind in die Vermisstenstelle, wo sich noch immer niemand gemeldet hatte, um nach ihm zu suchen. Arme Kleine! Mit einem Gefühl des Bedauerns übergab sie das Mädchen der Mitarbeiterin des Jugendamtes, mit der sie bereits am Morgen telefoniert hatte.
»Machs gut. Keine Angst, hier wird dir nichts geschehen«, sagte sie und lächelte das Mädchen zum Abschied aufmunternd an. Ob das Kind sie verstand, konnte sie nicht sagen. Zumindest folgte es der Frau vom Jugendamt, ohne Widerstand zu leisten.
Wie einsam die Kleine wirkte, wie verloren und verängstigt. Wie sehr musste sie ihre Mutter vermissen, doch vielleicht drang der Schmerz gar nicht bis in die Tiefen ihrer Seele vor? Noch nicht. Sie wirkte innerlich erstarrt.
Arme Kleine. Sie hat nicht einmal geweint , dachte die Kommissarin und zwang sich dann, an etwas anderes zu denken. Sie hatte getan, was sie konnte. Nun war es am Jugendamt, sich um das Kind zu kümmern, während die Polizei versuchte, die Eltern des Kindes ausfindig zu machen. Eine Ahnung sagte ihr, dass dies nicht einfach werden würde. Nein, das war kein Kind, das sich an einem Herbstabend einfach so verlaufen hatte und das seine besorgten Eltern schon bald mit Freudentränen in den Augen wieder in die Arme schließen würden. Eine Aura des Leids umgab das Mädchen.
Dies ist nicht dein Job!, sagte sie sich noch einmal streng. Auf dich warten andere Fälle, die vielleicht nicht weniger tragisch sind. Mordfälle und andere Tötungsdelikte, die sie zusammen mit Thomas, Sönke und den anderen der Gruppe aufklären musste. Sabine merkte, wie die Vorfreude von ihr Besitz ergriff, und sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie im dritten Stock
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