Engel der Verdammten (German Edition)
der Vampir höflich. »Die Kleine scheint zu frieren«, fügte er noch hinzu. »Vielleicht wäre es besser, ihr wieder etwas anzuziehen.«
»Du hast sie noch nicht gebissen«, stieß Sabine erleichtert aus, als sie dem Kind das Hemd wieder überstreifte und die Knöpfe schloss. »Dein Glück!«, fügte sie schneidend hinzu und erhob sich.
»Mit Glück hat das wenig zu tun«, widersprach der Vampir in spöttischem Ton. »Vielleicht wollte ich es ja gar nicht beißen?«
Sabine fuhr zu ihm herum. »Ach ja? Und zu welchem Zweck hast du es dann hierhergebracht? Weil du Gesellschaft und ein wenig Kindergeplapper um dich haben wolltest?«
Er stand mit dem Rücken gegen den schwarz glänzenden Konzertflügel gelehnt und lächelte sie so ungerührt an, dass sie ihn hätte schlagen mögen.
»Das Kind spricht nicht«, erwiderte er.
»Ja? Warum nicht?« Sabine war für einen Moment irritiert. Sie sah auf das Kind herab. Es war ein wenig unterernährt und hatte an den Armen und auf dem Rücken einige verschieden alte blaue Flecke, doch der Vampir schien sich tatsächlich nicht an ihm vergriffen zu haben. Ihr Blick wanderte zu Peter von Borgo, der mit den Schultern zuckte.
»Ich weiß nicht. Meine Erfahrung mit Kindern ist begrenzt. Ich gebe zu, ich bin ein wenig hilflos.«
»Ja, aber warum hast du es dann hierhergebracht? Wo wohnt das Kind, und wie heißt es?«
»So viele Fragen, auf die ich keine Antwort weiß«, säuselte er und berichtete dann, wie er das Kind in der Nacht in der Elbchaussee aufgelesen hatte.
»Und es kam dir nicht in den Sinn, es zur Polizei zu bringen?«
Der Vampir schüttelte den Kopf. »Mit so etwas kenne ich mich nicht aus. Mir schien, dass meine bescheidene Behausung der nächtlichen Straße vorzuziehen sei. Außerdem war ihm kalt, und es war müde.« Er hob abwehrend die Hände. »Ich habe es lediglich gebadet und ins Bett gesteckt.«
Sabines Zorn verrauchte. »Ich glaube dir ja. Dennoch ist das Haus eines Vampirs nicht der geeignete Ort für ein Kind. Außerdem suchen seine Eltern bestimmt schon verzweifelt nach ihm.«
Der Vampir zog eine Grimasse. »Erlaube mir, das zu bezweifeln. Es scheint nicht gerade in einem guten Zustand, wenn ich das trotz meiner mangelnden Erfahrung behaupten darf.«
Sabine nickte und wandte sich wieder dem Mädchen zu, das einfach nur dastand, den Blick abwechselnd auf den Vampir und die Kommissarin gerichtet. Sabine ging noch einmal in die Knie und versuchte, dem Mädchen wenigstens seinen Namen zu entlocken, doch es reagierte nicht, und so gab sie es auf.
»Ich werde das Kind mit zu mir nehmen«, sagte sie bestimmt. Sie strich ihm liebevoll über das Haar, doch das Mädchen zuckte zusammen.
»Willst du es behalten, als Ersatz für Julia?«, erkundigte sich Peter von Borgo.
»Nein, natürlich nicht«, rief sie, entsetzt über seinen Gedanken. »Ich kann doch nicht einfach ein fremdes Kind behalten. Was für ein absurder Einfall! Und überhaupt, Julia ist meine Tochter. Wie könnte es dafür einen Ersatz geben? Den ich übrigens auch gar nicht brauche. Sie ist und bleibt mein Kind, auch wenn sie gerade bei meinem geschiedenen Mann und seiner Freundin lebt.«
Sie spürte, wie der Gedanke noch immer schmerzte, doch das waren nicht der Ort und die Zeit, um an die verlorene Schlacht um das Sorgerecht zu denken und den Zorn heraufzubeschwören, der bei dem bloßen Gedanken an ihren Exmann in ihr aufbrodelte. Sie wusste selbst, dass er mit seinen Vorwürfen nicht ganz danebenlag. Sie konnte nicht gleichzeitig eine gute Kommissarin der Mordermittlung und alleinerziehende Mutter sein. Doch hatte er ihr überhaupt eine Wahl gelassen?
Sie riss sich von den Gedanken los und wandte sich wieder an das Mädchen.
»Du kommst jetzt mit mir, und dann koche ich dir erst einmal etwas Schönes. Du hast doch bestimmt Hunger?«
Sie warf dem Vampir einen fragenden Blick zu, doch der hob wieder nur die Schultern. Sabine nahm das Kind bei der Hand und ging zur Tür.
»Du willst jetzt gleich gehen?«, rief er, und zum ersten Mal an diesem Abend verlor er ein wenig seinen Gleichmut. »Ich dachte, wir verbringen noch ein wenig Zeit miteinander. Wir könnten eine Tour mit dem Motorrad machen. Was hältst du davon? Es wird eine herrliche Nacht.«
Sabine schüttelte mit Nachdruck den Kopf. »Nein. Ich muss mich erst um das Kind kümmern, und außerdem will ich nicht völlig übermüdet zu meinem ersten Arbeitstag erscheinen.«
Sie spürte seinen enttäuschten Blick im Rücken, bis
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