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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Revolver zurück in den Hosenbund und gab den Koffern einen Tritt. An Adripur vorbei, der sich schnell von der Tür zurückzog, polterten sie aus dem Flugzeug. Der junge indische Arzt hob sie auf und trug sie von der Maschine weg. Haller sprang auf die Erde und winkte ab, als der birmesische Pilot ihm etwas zuschrie. Der kleine, mit den Armen durch die Luft rudernde Mann hüpfte auf sein Flugzeug zu wie ein Hahn, der eine Henne verfolgt.
    »Ich laß' ihn leben, deinen roten Drachen!« rief Haller. »Aber wenn du wiederkommst, und ich bin zufällig in Homalin, laß mich nicht näher als fünfzig Meter an deinen Kasten ran. Es kann sein, daß ich mich unten an die Räder hänge.« Er ging zu Dr. Adripur, der neben den Pappkoffern stand und sich eine Zigarette anzündete.
    »Sie bleiben?« fragte der junge Arzt.
    »Mir bleibt keine andere Wahl.«
    »Sie haben einen Vertrag unterschrieben?«
    »Das auch.«
    »Wir brauchen Sie, Dr. Haller.« Es klang wie ein Amen, und so war es auch gemeint. Adripur zeigte hinüber zu einem kleinen Geländewagen, der hinter dem Flugzeug stand. »Können wir fahren?«
    »Haben Sie genug Alkohol in Nongkai?«
    »Immer ein paar Kisten Whisky. Taikky säuft ihn wie Wasser.«
    »Wer ist Taikky?«
    »Donu Taikky, Verwaltungsdirektor der Klinik.«
    Dr. Haller setzte sich neben Adripur in den Geländewagen und lehnte sich in den harten Sitz zurück. Dr. Adripur ließ den Motor an. Der kleine Wagen hoppelte über das Flugfeld. Dr. Haller mußte sich am Rahmen der Frontscheibe festhalten, um die harten Stöße gegen sein Gesäß aufzufangen. »Mein Gott, selbst die Hölle hat Beamte?!« Dr. Haller lächelte schief, als Adripur die Koffer einlud. Sie waren so leicht, als seien sie leer. »Warum fragen Sie nicht?«
    »Was sollte ich fragen, Dr. Haller?«
    »Haben Sie Luft in den Koffern? Das wäre eine gute Frage. Und ich werde Ihnen antworten: Genauso ist es! In jedem Koffer liegen ein Hemd, eine Unterhose, ein Unterhemd, ein Strumpf. Im linken Koffer Rasierzeug, im rechten die Rangun Times, fünf Tage alt. Das ist alles. Aber es macht immer einen guten Eindruck, mit zwei Koffern zu reisen, finden Sie nicht auch?«
    »Ich sehe Ihnen an, daß Sie ein Trinker sind«, sagte der junge Arzt.
    »Danke schön! Dann wird es Ihre vornehmste Aufgabe sein, mich immer bei Laune zu halten.«
    »Das werde ich. Die Kranken glauben noch an Wunder. Und dieses Wunder sind jetzt Sie! Ein Arzt aus Europa, das ist wie ein Segen Gottes. Selbst im hintersten Dschungel Birmas. Wann sind Sie am besten, Dr. Haller?«
    »Nach fünf kräftigen Schlucken – das entspricht einer halben Flasche.«
    »Gut.« Dr. Adripur nickte. »Jeden Monat trifft per Flugzeug der Nachschub für Nongkai ein. Wir stellen ihn auf Listen zusammen. Ich werde für genügend Whisky sorgen. Für die Kranken tue ich alles.«
    Dr. Haller schwieg. Sie hatten die schmale Straße erreicht, die den Dschungel durchbrach. Ein Jeep mit drei Soldaten kam ihnen entgegen. Sie grüßten, als sie Dr. Adripur erkannten. Das war die erste Sperre von Nongkai, dem Dorf, das auf keiner Karte stand.
    »Sie werden Ihr blaues Wunder mit mir erleben«, sagte Haller plötzlich. »Interessiert Sie eigentlich gar nicht, wer ich bin?«
    »Nein.« Dr. Adripur schaltete in den nächsten Gang. Die Straße war ein Meisterwerk der Gewalt gegen den Urwald. Schnurgerade hineingeschlagen und gewalzt. Nur in der Regenzeit verwandelte sie sich zu einem vier Meter breiten Streifen Schlamm; siebzig Kilometer lang. »Wer nach Nongkai kommt, wird nicht mehr gefragt. Es hieß, das soll anders werden, das Hospital soll nach modernsten medizinischen Erkenntnissen ausgebaut werden. Und da schickt man Sie.«
    »Sie dürfen sich ohne Scham ausweinen, Adripur. Für mich ist Nongkai Endstation. Wer hat dieser Hölle eigentlich den Namen ›Jesus am Kreuz‹ gegeben?«
    »Der Schwesternorden ›Zum sanften Blut‹. Er hat vor zehn Jahren das Lepradorf gegründet.«
    Dr. Haller holte die Ginflasche aus der linken Tasche und hielt sie Adripur hin. Als dieser den Kopf schüttelte, trank er drei hastige Schlucke. »Was werden die ehrwürdigen Mütter über einen Mann wie mich sagen?«
    »Nichts. Sie leben nicht mehr. Der Dschungel hat sie alle in diesen zehn Jahren zerstört. Nur der Name ›Jesus am Kreuz‹ ist übriggeblieben.«
    Haller setzte die Flasche wieder an den Mund. Jetzt trank er Mut aus ihr. Er hatte ihn nötig. Ist das ein Ende, dachte er. Vom einzigen Sohn eines Bergrates in Witten bis zu

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