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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Haller vergessen hatte, stand da auch Sabu Adripur. Zwei Ärzte für eine Patientenzahl, die man selbst in Rangun nicht genau kannte. »Es werden vielleicht dreihundert, vierhundert sein«, hatte der Referent für das Krankenhauswesen im Ministerium gesagt. Zwei Ärzte für dreihundert Kranke … Dr. Haller hatte nicht weitergefragt.
    »Sie kommen eine Viertelstunde zu spät, Herr Kollege.« Dr. Haller blieb hinter dem Steuerknüppel sitzen. Jetzt war auch bei den Baracken Bewegung. Ein paar Männer in Hemd und Hose rannten hin und her. Um die Fahnenstange herum fuhr ein Wagen mit einem langen Tankfaß hinaus auf die Piste. »Ich bin bereits wieder auf dem Rückweg.«
    »Ohne Nongkai gesehen zu haben?«
    »Ich kenne Paris, London, Rom, Kopenhagen, New York, San Franzisco, Tokio, Singapur, Rangun und Witten an der Ruhr. Da kann man auf Nongkai verzichten.«
    »Ich war noch nie in Witten an der Ruhr«, sagte Dr. Adripur fröhlich.
    »Ein kleiner Witzbold, was?« Dr. Haller legte die Hand auf den Revolvergriff. »Ich hatte nicht geahnt, auf was ich mich hier eingelassen habe. Aber wenn ich mich hier umsehe – lieber wieder als Hilfssanitäter Pinkelflaschen herumtragen und Spucknäpfe auswaschen, als in dieser grünen Hölle zu verjauchen. Die Welt ist groß, Kollege, und sie hat in irgendeinem Winkel auch noch einen Platz für mich.«
    »Das stimmt. In Nongkai.«
    »Den Namen streiche ich aus meinem Vokabular.«
    »Ohne es gesehen zu haben?«
    »Ja. Ich nehme an, ich verpasse nichts.«
    »Vielleicht doch.« Dr. Adripur lehnte sich gegen die Türöffnung.
    »Zweihundertneunundsiebzig Kranke und zweiundzwanzig Halbe leben in diesem Dorf mitten im Dschungel. Sie warten auf den neuen Arzt. Er ist ihre ganze Hoffnung. Seit vier Tagen, seit bekannt geworden ist, daß Sie zu uns kommen, beten sie und danken sie ihren Göttern – die einen Christus, die anderen Brahma, die dritten Buddha, die vierten Schiwa, sogar einige Mohammedaner haben wir. Sie knien auf ihren Teppichen und loben Allah, weil er so gnädig war, den deutschen Arzt nach Nongkai zu schicken.«
    Dr. Haller sah durch die Scheibe, wie der Tankwagen schnell näher kam. Der Pilot draußen stand auf dem Trittbrett. Gleich fiel die Entscheidung.
    »Gehen Sie aus dem Weg, Dr. Adripur«, sagte Haller. Seine Stimme klang rostig. »Ich werde in wenigen Sekunden schießen müssen …«
    »Warum wollen Sie die Patientenzahl vermehren? Wir haben genug.«
    »Sie sagten da etwas von zweiundzwanzig Halben.« Dr. Haller zog den Revolver und spannte den Hahn. Der Pilot sprang vom Trittbrett des Tankwagens und starrte verblüfft auf seinen Fluggast, der im Cockpit saß, als wolle er gleich den Motor anlassen. »Wie soll ich das verstehen?«
    »Bei den zweiundzwanzig handelt es sich um Menschen, denen ganze Körperteile bereits abgefault sind. Wo wir konnten, haben wir nachamputiert«, sagte Dr. Adripur. »Füße, Hände, Arme bis zum Ellbogen, Ohren, Nasen … Neun haben faustgroße Löcher in den Wangen …«
    »Das – das kann doch nicht wahr sein …« Dr. Haller ließ den Revolver sinken. Sie haben mich belogen, dachte er. Das heißt, sie haben gar nichts gesagt, sie haben nur von dem Hospital ›Jesus am Kreuz‹ gesprochen, und ich habe nicht gefragt. Aber wer denkt denn an so etwas?
    Dr. Adripur schob den breitkrempigen Hut in den Nacken. Sein schmales Jungengesicht war sehr ernst geworden. »Sie wußten davon nichts, Dr. Haller?«
    »Keine Silbe. Ich säße sonst garantiert nicht hier.«
    »Aber es läßt sich nicht mehr weglügen: Nongkai ist eine Leprakolonie. Ein ganzes Dorf voll verfaulender Menschen. Hineingebaut in einen Dschungel, zu dem nur eine einzige Straße führt, und diese Straße wird durch eine Militärwache abgeriegelt.«
    »Daher die grünen Jeeps da drüben …«
    »Ja, ein elender Dienst. Jeden Monat werden die Jungs abgelöst, dann sind sie mit den Nerven fertig. Bewachen Sie mal Tag und Nacht rund dreihundert Lepröse, die alle glauben, man wolle sie in ihrem Dorf nicht heilen, sondern umbringen.«
    »Und Sie heilen?« fragte Haller gedehnt.
    »Wir halten die Krankheit auf, verzögern sie«, sagte Dr. Adripur vorsichtig. »Bis vor einigen Minuten dachte auch ich, daß wir mit Ihnen einen Experten, endlich einen Fachmann gewonnen haben.«
    »Eine bessere Wahl als mich konnten Sie gar nicht treffen!«
    Dr. Haller lachte. Alle Bitterkeit, die ein Mensch über sich selbst empfinden kann, brach aus ihm heraus. Er schob sich vom Sitz, steckte den

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