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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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umarmte seine Füße, als er über dem Land hing. Er ließ sich fallen und stürzte mit ihr auf den glitschigen Boden, lag auf dem Rücken und wartete, daß sein Gehirn platzte. Das hält keine Ader aus, dachte er noch. Dann spürte er, wie sich sein Herz zusammenkrampfte und stehenblieb.
    Drei Schüsse, die schnell hintereinander abgefeuert wurden, weckten ihn auf. Siri kniete neben ihm und beschoß zwei Krokodile, die an Land kamen, langsam, tappend, auf dem hornigen Rücken Tang und einen Schleier aus Wasserlinsen. Sie traf die Tiere in die krummen Beine, sie warfen sich herum und tauchten schnell weg.
    »Ich war tot«, sagte Haller und blieb auf dem Rücken liegen. »Warum holst du mich wieder zurück?«
    »Ich hole dich immer zurück, Chandra.« Sie legte das Gewehr hin, beugte sich über ihn und küßte ihn auf die Augen. »Wie geht es dir?«
    »Miserabel. Wie lange habe ich gelegen?«
    »Fünf Minuten.«
    »Länger nicht?«
    »Sieh dir die Sonne an, Chandra. Sie ist nicht weitergezogen.«
    »Ich bin ein zäher Hund, was?« Haller stützte sich auf die Ellbogen. Er sah das Boot, die gespannte Liane, den Fluß im gleißenden Sonnenlicht, den tausendstimmigen Dschungel, das ewige Dach aus ineinandergewachsenen Ästen und Blättern, Schlingpflanzen und wundersamen Blumenketten, und über dem Fluß ein Stück blauen Himmels, wolkenlos, unendlich, die absolute Freiheit.
    »Wann können wir wieder in Nongkai sein, Siri?« fragte er.
    »Morgen, übermorgen, in einer Woche, nie! Wie du willst, Chandra.«
    Sie bettete ihren Kopf in seinen Schoß. Aber das Gewehr hatte sie schußbereit neben sich.
    »Heute nacht noch.«
    »Unmöglich, Chandra.«
    »Du sagst unmöglich? Von dir habe ich heute gelernt, daß es kein Unmöglich gibt.«
    »Du mußt dich ausruhen.«
    »Ich werde mich ausruhen, indem ich Taikky in die fette Visage schlage. Wir müssen in der Nacht zurück sein. Das nächste Opfer wird Bettina sein.«
    Sie blieb ruhig in seinem Schoß liegen, nur ihre Hände, die seine Beine gestreichelt hatten, gruben sich schmerzhaft in seine Knie.
    »Ich hasse sie!« sagte sie. »Warum ist sie nach Nongkai gekommen?«
    »Um zu helfen. Genau wie ich.«
    »Hast du sie vorher gekannt?«
    »Ich habe sie bis gestern nie gesehen.«
    »Dann kümmere dich nicht um sie.«
    »Sollen wir ruhig mit ansehen, wie Karipuri und Taikky sie umbringen?«
    »Ja!«
    Er war so betroffen von diesem klaren Ja, daß er keine Antwort darauf wußte, aber dann schob er Siris Kopf aus seinem Schoß und versuchte aufzustehen. Es gelang kläglich. Er stützte sich an den Baumstamm, um den die Liane gebunden war, spürte die Schwäche in seinen Knien und versuchte, durch tiefes Atmen eine neuen Zusammenbruch zu vermeiden. »Was bist du bloß für ein Mensch?« sagte er.
    Sie drehte sich auf die Seite und sah ihn an. »Ich bin kein Mensch, Chandra.«
    »Was bist du dann?«
    »Deine Liebe.«
    Er wußte darauf keine Antwort, wandte sich ab und schwankte auf einknickenden Beinen zu einem der Kanister. Er trank ein paar Schlucke des warmen, schalen Wassers, hielt sich an einem Strauch fest, beugte sich vor und erbrach das Wasser wieder. Sein Körper war zu schwach, um etwas aufzunehmen.
    »In einer Stunde machen wir uns auf die Socken«, sagte Haller, nachdem das Würgen vorüber war. »In einer Stunde, verdammt; und wir werden so lange den Fluß hinauf wandern, bis wir Nongkai erreicht haben! Sie sollen wissen, daß ich so schnell nicht kleinzukriegen bin.«
    Mitten in der Nacht erreichten sie Nongkai.
    Sie hatten zweimal eine Pause eingelegt, hatten gegessen und sogar zwei Büchsen mit Fleisch heiß gemacht. Haller verwendete zum Anzünden und Entflammen des feuchten Holzes eines seiner mit Benzin getränkten Taschentücher. Die schimmelnden Äste qualmten bestialisch, aber das Feuer reichte aus, das Essen zu wärmen und in einer leeren Dose auch noch einen starken Tee zu kochen.
    Das große Palisadentor war von innen verriegelt, das Dorf von der Umwelt abgeschnitten. Dort, wo die Holzmauer aufhörte, begann ein drei Meter hoher Drahtzaun, der das ganze Dorf umzog. Man konnte ihn nicht überklettern, denn von Pfahl zu Pfahl war oben Stacheldraht gespannt. Dieser Zaun allein hatte mehr gekostet als die Medikamente, die in den letzten fünf Jahren nach Nongkai geliefert worden waren.
    Haller war schon am ersten Tag an diesem Zaun entlang gewandert und hatte es sich nicht verkneifen können, zu Taikky und Karipuri zu sagen: »Das kommt mir alles bekannt vor,

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