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Engel der Vergessenen

Engel der Vergessenen

Titel: Engel der Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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feinen Farbunterschiede ohne Brille sehen?«
    »Ich habe nie eine Brille getragen.«
    »Sie würde Ihnen vorzüglich stehen, Taikky.« Haller beugte sich noch weiter vor. »Sie haben das typische Brillengesicht. Ein Vorschlag: Fangen wir mit dem Gestell an! Zu Ihnen paßt ein schönes, ausdrucksvolles Brillen-Hämatom …«
    Bevor Taikky begriff, schnellte Hallers Faust schon vor. Zweimal, genau auf den Punkt, links und rechts in die Augenhöhle.
    Taikky preßte beide Hände gegen sein Gesicht und fiel nach hinten gegen das Oberteil des Bettes. Dort blieb er sitzen, unheimlich still, ein fetter Buddha, und wartete.
    »Sie können weiterschlafen«, sagte Haller höflich. »Gewöhnen Sie sich an die Brille. Bei Gelegenheit setze ich auch noch die Gläser ein.«
    Er verließ ungehindert das Schlafzimmer, trat ins Freie und blickte hinüber zu dem einsamen erleuchteten Fenster im Hospital. Er hoffte, daß Taikky ihm folgte, daß er Alarm schlagen und seine Boys zusammentrommeln werde. Aber nichts regte sich. Nur auf dem Gang, der zu den Privatzimmern von Dr. Karipuri führte, wurde licht angeknipst. Haller wischte sich die Handflächen an der Hose ab und kehrte ins Haus zurück.
    Dr. Karipuri, in einem indischen Seidenschlafrock, elegant wie immer, staunte nicht weniger als Taikky.
    »Schaut her, ich bin's!« sagte Haller. »Nur eigne ich mich nicht zum Bajazzo, und schon gar nicht als Krokodilfutter. Wir unterhalten uns morgen, Karipuri. Ich bin jetzt zu müde, um Ihnen den Hintern bis zum obersten Nackenwirbel aufzureißen. Gehen Sie zu Ihrem Freund Taikky. Er trägt seit neuestem eine Brille.«
    »Haller!« Karipuri vertrat ihm den Weg. Seine schwarzen Augen glitzerten. »Wir sind jetzt allein.«
    »Genau das meine ich! Für unser Gespräch brauche ich Publikum. Gehen Sie aus dem Weg!«
    Karipuri rührte sich nicht.
    »Sie sind nicht unverwundbar.«
    »Wer ist das schon? Selbst Siegfried hatte sein Lindenblatt zwischen den Schultern.« Haller senkte den Kopf. »Machen Sie den Weg frei, Karipuri. Ich habe eine Abneigung gegen Sperren. Seit ich im Zuchthaus gesessen habe, regt mich jeder geschlossene Raum auf. Darum war ich bis jetzt immer auf der Wanderschaft, immer unter freiem Himmel.«
    »Sie kommen sich wohl sehr stark vor – wie?« Karipuris Stimme zitterte vor Wut. »Aber überschätzen Sie sich nicht: Es kommt eine Zeit, da werden Sie ganz alleine sein!«
    »Auf dem Rücken, in einem Erdloch. Das ist unausweichlich. Aber nach Ihnen, Karipuri. Und jetzt gehen Sie mir endlich aus dem Wege!«
    Er schob den Inder zur Seite und verließ das Haus.
    Es gab keine Illusionen mehr, kein Versteckspiel, keine billige Tarnung.
    Der Tod würde ab heute immer neben ihm sein. Er würde ihn nie mehr allein lassen, ganz so wie Siris Liebe …
    Und an beides mußte er sich erst gewöhnen.
    Im Zimmer der Nachtstation saß Bettina Berndorf und las in einem Buch über die ›Behandlung der Lepra mit Contergan‹. Es war ein interessanter Artikel über die Zufallsentdeckung einer neuen Heilmethode – nachdem mit dem Namen Contergan soviel Tränen und soviel Flüche verbunden waren.
    Als die Tür leise zuklappte, fuhr Bettina herum und griff schnell unter den Tisch. Ihre Hand schnellte wieder hoch und hielt einen Revolver umklammert.
    »Noch nicht«, sagte Haller und zog einen Stuhl heran. »Ich sage Ihnen rechtzeitig Bescheid, wann Sie mich durchlöchern können.«
    »Mein Gott, Sie leben«, sagte sie leise. Plötzlich zerflossen ihre angespannten Züge zu einer Weichheit, die ihr Gesicht völlig veränderte und sie sehr schön machte. »Sie leben!«
    »Warum nicht?« Er starrte sie an, nahm ihr die Waffe aus den Fingern und küßte die Handfläche.
    »Was soll das?« fragte sie. »Warum?«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Wofür?«
    »Sie haben sich Sorgen um mich gemacht. Wenn ich in Ihren Augen noch immer der große Lump wäre, hätte Ihnen alles gleichgültig sein können.«
    Sie entzog ihm die Hand und versteckte sie hinter dem Rücken wie ein kleines Mädchen. »Wir alle haben uns Sorgen gemacht, Dr. Haller. Sie wissen ja nicht, was in Nongkai passiert ist, nachdem Sie bei Einbruch der Nacht nicht wieder hier waren. Die Brüder Khawsa sind gesehen worden.«
    »Aha! Sie sind also wieder da.« Haller lächelte bitter. »Das wird Taikky aber freuen.«
    »Sie ahnungsloser Held!« Bettinas Gesicht verlor den weichen Ausdruck. »Wenn Sie morgen durch Nongkai gehen, werden Sie es nicht wiedererkennen. Sie sind als Engel hierhergekommen

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