Engel für den Duke
durch den Kopf. Mit ihren hellen Augen und der blassen Haut sah sie Madam Medela so gar nicht ähnlich. Selbst das glatte schwarze Haar passte nicht zu den rauen grauen Haaren, die die andere gehabt hatte. Aber Medela war schon eine alte Frau gewesen, als er sie als kleiner Junge kennengelernt hatte. Sie war eine Greisin, als sie starb.
Waren diese beiden Frauen wirklich miteinander verwandt? Die Verbindung war entfernt, daher war es vermutlich denkbar.
Als er vor der Tür Schritte hörte, sah er auf.
„Komm herein“, rief er dem Mann draußen zu. Barton „Bart“ McGrew, sein Geschäftsführer – zumindest war das der Titel, den Loomis ihm gegeben hatte. Aber Barts Arbeit hatte nichts damit zu tun, Papiere an einem Schreibtisch zu bearbeiten. Er erledigte alles, was Preston von ihm verlangte, und nichts war ihm zu schwierig.
„Nimm dir etwas zu trinken und setze dich.“
McGrew tat das, füllte das Kristallglas ein wenig zu voll und trank einen Schluck ab, damit nichts auf den teuren Perserteppich tropfte. Bart verfügte nicht über viel gesellschaftlichen Schliff, aber ein Mann wie er war unbezahlbar.
„Was kann ich für dich tun, Boss?“ McGrew setzte sich auf den Stuhl gegenüber von Prestons Ledersofa.
Preston kannte Bart seit Jahren. Sie waren zusammen in einem üblen Viertel in Southwark aufgewachsen. McGrew war der Einzige, der ihn als Dick Flynn kannte. Abgesehen von seiner Mutter und vielleicht der alten Medela war Bart der einzige Mensch auf der Welt, dem er vertraute. Vor allem deshalb, weil sein großer Freund nicht sehr klug war und abgesehen von seiner Loyalität gegenüber Preston überhaupt keine Skrupel besaß.
Und er war in jeder Beziehung von Preston abhängig.
„Es gibt da eine Frau“, begann Preston. „Sie nennt sich Madam Tsaya. Ich will alles über sie wissen.“
„Wie kann ich sie finden?“
Preston gab ihm die Adresse, die er von Lady Severn hatte. Ein Haus in einer wenig bemerkenswerten Nachbarschaft in Piccadilly.
„Ich werde mein Bestes tun.“ Bart leerte das Glas, stemmte sich aus dem Stuhl hoch und ging zur Tür.
Preston sah ihm nach und dachte, welch widersprüchlichen Anblick der Mann bot. Gekleidet in die teuren Sachen, die Preston ihm gekauft hatte, das kurze braune Haar in der Mitte gescheitelt und ordentlich geschnitten – doch die Züge waren grob und das Gesicht gerötet wie bei einem Hafenarbeiter, dessen unehelicher Sohn er war.
McGrew schloss die Tür, und Preston wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Flammen zu, doch immer wieder wanderten seine Gedanken zu der schönen und geheimnisvollen Tsaya, während er sich fragte, was Bart wohl herausfinden würde.
Lily kam zu dem wöchentlichen Treffen im Red Rooster Inn ein paar Minuten zu spät. Sie schob ihre Kapuze zurück und eilte die Treppe hinunter in den Schankraum im Souterrain und von dort aus ins Hinterzimmer. Bei ihrem Eintreten erhoben sich die Männer am Tisch: Charles Sinclair, Jack und der Duke.
Lily ignorierte den kleinen Stich, den sein Anblick ihr versetzte, so gut aussehend war er, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Person, die sitzen geblieben war, eine kleine Frau mit silberweißem Haar, das sie im Nacken zu einem Knoten gebunden trug – eine untersetzte, attraktive Mittfünfzigerin.
Jack hatte Lily gesagt, dass ihr Name Molly Daniels lautete und sie eine sehr gute Freundin von ihm war. Tatsächlich waren sie und Jack ein Liebespaar. Es entging Lily nicht, wie er Molly ansah, voller Zärtlichkeit und Stolz. Sie gehört mir, besagte dieser Blick, und wenn irgendjemand versucht, uns zu trennen, ist die Hölle los.
Lily hätte beinahe gelächelt, wäre in diesem Moment ihr Blick nicht auf Royal gefallen. Im Gegensatz zu Jacks Zügen waren seine beinahe ausdruckslos, und Lily konnte nicht einschätzen, was er wohl dachte.
„Lily, darf ich dir Molly vorstellen?“, sagte Jack.
„Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mrs Daniels“, erwiderte Lily.
„Ganz meinerseits, aber Molly genügt. Ihr Onkel Jack ist sehr stolz auf Sie, Liebes.“
Lily lächelte ihren Onkel an, und dann eröffnete Charles Sinclair die Besprechung.
„Wie es scheint, läuft alles genau so, wie wir es geplant haben. Loomis hat Kontakt aufgenommen. Er wird versuchen herauszufinden, ob Tsaya echt ist oder nur eine Rolle spielt. Barton McGrew, sein Mann für alle Fälle, erledigt alle persönlichen Dinge für Loomis. Zu unserem Glück ist McGrew nicht besonders helle. Trotzdem ist er
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