Engelsbann: Dunkle Verlockung Teil 2 (German Edition)
bezeichnet haben, um sie zu rechtfertigen, aber er hatte ihr Lachen gehört und die Schwärze gespürt, mit der ihre Seelen befleckt waren. »Warum erzählst du mir das?«
Sie warf ihm einen spitzbübischen Blick über die Schulter zu. »Ich brauche keinen Sklaven, Noel«, sie sprach seinen Namen mit einem leichten französischen Akzent aus, der ihm eine exotische Wirkung verlieh, »sondern jemanden, dessen Loyalität außer Zweifel steht. Laut Raphael bist du genau dieser Mann.«
Er war gar nicht abgeschoben worden.
Der Schock fuhr ihm durch den ganzen Körper und erweckte ihn mit einem Ruck wieder zum Leben, nachdem er sich so lange wie ein wandelnder Toter vorgekommen war. »Du bist sicher, dass es jemand von deinen Leuten war?«, fragte er. In heftigen Stößen pulsierte das Blut durch seine Adern.
Ihre Antwort war indirekt, und es lag Wut darin. »An dem Tag, als das Mitternachtsgift benutzt wurde, waren keine Fremden in meinem Haus.« Ihre Flügel entfalteten sich und schirmten das Licht ab, während sie weiterhin konzentriert aus dem Fenster blickte. »Sie sind mir treu ergeben, aber einer von ihnen muss sich gegen mich gewandt haben.«
»Du bist sechshundert Jahre alt«, stellte Noel fest, der wusste, dass sie in diesem Moment nichts von ihrem Garten wahrnahm. »Du kannst sie dazu zwingen, die Wahrheit zu sagen.«
»Ich kann ihren Willen dennoch nicht beugen«, erwiderte sie – eine offene Antwort, die ihn überraschte. »Das war mir noch nie gegeben. Und meinen gesamten Hofstaat zu foltern, um einen Verräter ans Licht zu bringen, erscheint mir ein wenig übertrieben.«
Er glaubte, unter ihrem Zorn eine düstere Belustigung zu verspüren, doch da sie das Gesicht zum Fenster gewandt hatte und ihr Profil im Schatten der herabfallenden, blauschwarzen Locken lag, konnte er es nicht mit Sicherheit sagen. »Wissen die anderen, warum ich hier bin?«
Als Nimra den Kopf schüttelte und sich abermals zu ihm umdrehte, gab ihre Miene nichts preis außer der makellosen Maske einer Unsterblichen. »Wahrscheinlich glauben sie dasselbe, was auch du geglaubt hast: dass Raphael dich hergeschickt hat, weil du ein gebrochener Mann bist und ich ein Spielzeug brauche.« Sie hob eine Augenbraue.
Es kam ihm vor, als wäre er gerade zum Chef zitiert worden. »Ich bitte um Entschuldigung, Lady Nimra.«
»Du solltest versuchen, einen Tick aufrichtiger zu klingen«, eine kühle Anweisung, »sonst wird unser Schwindel erbärmlich fehlschlagen.«
»Ich fürchte, ich werde es niemals fertigbringen, ein gefügiger Pudel zu sein.«
Zu seinem Erstaunen lachte sie, heiser und feminin strich der Klang über seine Sinne. »Sehr gut«, sagte sie, und ihre Augen glitzerten im Sonnenlicht wie Juwelen. »Dann bist du ein Wolf an der langen Leine.«
Verblüfft bemerkte Noel in seinem Inneren eine neue Art von Hitze, wie von langsam brennenden Kohlen, die dunkel und kraftvoll glühten. Seit er mit einem völlig zerschlagenen Körper in der Krankenstation erwacht war, hatte er kein Verlangen mehr verspürt. Diesen Teil von sich hatte er für tot gehalten. Doch Nimras Lachen versetzte seinen Körper in Erregung. Es war verlockend, diesem Aufflackern der Hitze nachzugehen, die Kohle ans Tageslicht zu befördern. Doch er ließ nicht zu, dass ihr Lachen oder die exquisite Zartheit ihrer Weiblichkeit diese eine Wahrheit aus seinem Bewusstsein vertrieb: dass der Engel mit den von Juwelenstaub überzogenen Flügeln tödlich war. Und dass Nimra, auch wenn sie in diesem speziellen Fall im Recht sein mochte, dennoch nicht unschuldig war.
In dieser Nacht hörte er Schreie. Der Albtraum überraschte ihn jedes Mal, obwohl er ihn schon die ganze Zeit plagte, seit er in der Krankenstation zum ersten Mal die Augen aufgeschlagen hatte. Nach einigen Stunden der Folter hatte er nicht mehr schreien können und war nur bei Bewusstsein geblieben, weil seine Angreifer darauf geachtet hatten, diese schmale Linie nie zu überschreiten. Knochenbrüche, aufgerissenes Fleisch, unerträgliche Verbrennungen – Vampire hielten eine Menge Verletzungen aus, ohne in die kühle Dunkelheit der Besinnungslosigkeit entfliehen zu können.
Er erinnerte sich nicht daran, am Anfang geschrien zu haben, war er doch fest entschlossen gewesen, nicht klein beizugeben. Und dennoch musste er es getan haben – denn das Echo seiner Schreie verfolgte ihn bis in seine Träume. Vielleicht erklang seine Stimme auch nur in seinem Kopf, denn nur seinen Geist hatte er damals besessen,
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