Engelsblut
Eine Fruchtwasseruntersuchung. Und man stellt fest, dass das Kind eine Krankheit hat. Einen Gendefekt, wie es so schön heißt. Das Kind, ein Mädchen, hat das Turner-Syndrom. Statt zwei X-Chromosomen haben ein Teil der Körperzellen nur ein X-Chromosom. Rasa hat sich in ihrem ganzen Leben nicht mit solchen Sachen beschäftigt – jetzt lernt sie schnell und saugt das Wissen förmlich auf. Menschen mit dem Turner-Syndrom können leben, wenn die Schwangerschaft den dritten Monat übersteht. Sie können sogar gut leben – aber sie brauchen Medikamente. Teure Medikamente, die es nicht an jeder Straßenecke zu kaufen gibt. Hormonpräparate für das Wachstum und dafür, dass aus Mädchen Frauen werden.«
Die deutschen Eltern hören, dass das Mädchen, das ihr Kind ist, nicht gesund ist. Dass es eine Behinderung hat. In dem Vertrag steht, dass sie das Kind, wenn es eine Behinderung hat, die rechtzeitig festgestellt wird, nicht nehmen müssen. Und sie wollen das Kind nicht. Sie wollen ein gesundes Kind ohne Fehler. Und das will die Klinik auch liefern. Katalogkinder eben. In der Ukraine ist die Abtreibung bis zur zweiundzwanzigsten Schwangerschaftswoche legal. Also kein Problem.
Nur Rasa, sie hat ein Problem. Denn sie bringt es nicht fertig, das Kind töten zu lassen. Achtundneunzig Prozent der Kinder mit Turner-Syndrom erleben den vierten Schwangerschaftsmonat nicht. Aber dieses kleine Mädchen hat die Kraft und den Willen, auf die Welt zu kommen.
Rasa widersetzt sich der Klinik. Sie wird das Kind bekommen.
Und sie bekommt das Kind tatsächlich. Nur wird es mit dem Geld nicht besser. Denn sie bekommt von der Klinik nichts. Und sie kann mit dem Baby auch nicht sofort wieder arbeiten gehen. Und ihr Mann, der fliegt stets nach drei Tagen aus jedem neuen Job.
In Rasa wächst die Wut. Natürlich hat sie sich auf die Leihmutterschaft eingelassen. Aber ist es gerecht, dass die Eltern das Kind, wenn es nicht perfekt ist, einfach abbestellen können? Wenn sie das Kind schon nicht haben wollen, sollen sie dann nicht wenigstens dafür zahlen müssen? Und Rasa weiß, dass diese Menschen viel Geld haben. Sehr viel Geld.
Sie schreibt zwei Briefe. Bittet um hundert Euro im Monat. Aber sie erhält nicht einmal eine Antwort.
Das kleine Mädchen, es heißt Elena, es wird krank. Und Rasa braucht jetzt wirklich Geld für das Kind. Sie geht zu dem Mann, der die Fotos macht. Sie macht mit in einem seiner Filme. Und sie weiß, dass es so nicht weitergeht.
Also macht sie einen Plan. Sie wird die reichen Deutschen davon überzeugen, dass sie für Elena Geld geben. So, wie auch jeder geschiedene Mann für seine Kinder bezahlen muss.
Es gelingt ihr, nach Deutschland zu kommen. Ihre Kinder und ihren Mann hat sie versorgt, auch ihre Vögel. Sie hat herausgefunden, wo die Deutschen wohnen. Sie beobachtet sie mehrere Tage. Und dann kommt der Tag, an dem sie an ihrer Tür klingelt.
Der Mann macht auf. Will ihr die Tür vor der Nase zuschlagen. Aber sie hat ein großes Messer dabei. Und sie gelangt in die Wohnung, bedroht ihn. Zeigt, dass sie es ernst meint. Sagt, dass die beiden für Elena sorgen müssen. Die Frau sagt, ja, das würden sie doch machen. Sie weiß gar nichts von den Briefen, die Rasa geschickt hat. Und der Mann, er lacht sie aus.
Rasa sagt, wenn er ihr jetzt nicht gleich Geld geben würde, dann würde sie die Frau erstechen.
Der Mann lacht wieder. Sagt, sie sei nicht in der Lage, einen Mord zu begehen. Sie solle jetzt gehen. Sie solle sich verpissen. Rasa spricht ein wenig Deutsch. Sie kennt das Wort nicht. Aber sie spürt, was es bedeutet. Und sie weiß, dass dieser Kampf mit dem Mann ausgefochten werden muss. Auch wenn die Frau ihr Geld geben will – er würde es nicht zulassen. Er brüllt sie an, dass er sehr, sehr viel Geld ausgibt, damit sie endlich ein gesundes Kind bekämen – und keinen Krüppel.
Auch das Wort Krüppel kennt sie nicht. Aber das Wort klingt hässlich. Und Rasa weiß, dass sie keine zweite Chance bekommt. Sie springt nach vorn, und das Messer sticht in die Frau. Die ist entsetzt. Setzt sich auf das Sofa. Es gibt nicht viel Blut. Aber die Frau ist schwer verletzt, das sieht Rasa.
Rasa bleibt bei der Frau. Und fordert das gesamte Geld, das sie im Haus haben. Die Frau lebt noch, aber sie ist sehr schwach. Sie sagt zu ihrem Mann: ›Mach den Tresor auf.‹ Dann schweigt sie, denn sie hat keine Kraft mehr.
Tatsächlich öffnet der Mann einen Tresor hinter einem Bild. Darin ist Geld. Und Schmuck. Viel
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