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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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solltest du auch lernen, Bub. Ich muss Zahlen aufschreiben. Sie festhalten.«
    Die Augen des Kindes waren blicklos.
    »Verstehst du das denn nicht?«, spottete der Schreiber gutmütig. »Ich muss sie festhalten!«
    Der Knabe sagte noch immer kein einziges Wort. »Festhalten«, wiederholte der Schreiber verwirrt, neigte sich, da er auf keine Regung stieß, nach vorne und packte den Jungen an den Schultern, um ihm vorzumachen, wovon er sprach. »Festhalten – so wie ich dich festhalte.«
    Da kreischte Samuel so laut auf, dass der Kopf des Schreibers dröhnte. Er gellte und girrte und schlug um sich, bis der andere ihn entsetzt losließ. Selbst dann vermochte sich der Knabe nicht zu beruhigen. Irr schlug er auf die Hand ein, die ihn eben noch berührt hatte, biss und kratzte.
    »He!«, schrie der Mann empört und befremdet und duckte sich. »Bist du verrückt geworden? Hat man Wahnsinn in dein Hirn geträufelt?«
    Samuel fiel jählings in sich zusammen, als fehlten ihm die Knochen, die seine weiße Haut stützten, und verharrte so still am Boden, dass man glauben musste, er hätte nie geschrien und nie um sich geschlagen. Kopfschüttelnd blickte der Schreiber auf ihn hinab und ängstigte sich vor dem seltsamen Kind. Um es loszuwerden, reichte er ihm ein Blatt weißes Papier.
    Damit möge er nach seinem Gutdünken verfahren, er könne es mit Feder und Tinte beschreiben. »Nur nimm’s endlich und geh, ich habe noch zu arbeiten!«
    Ängstlich versteckte er die Hand, die Samuel berührt hatte, unter dem Schreibpult und gab sich nicht weiter mit dem Kinde ab.
    Samuel trat mit dem weißen Papier in den Hof, setzte sich in den Dreck und wartete. Gänse trotteten vorbei und suchten in der feuchten Erde nach Schnecken. Er griff sich eine, hielt sie fest und riss ihr eine Feder nach der anderen aus. Obwohl schmächtig, war er doch stärker als die Gans, die heftig schnatterte und nach ihm schnappte. Ungerührt hielt Samuel das Tier unter dem Arm und beschmierte mit den ausgerissenen Federn den Bogen Papier mit dem Gesicht des Schreibers.
    Neugierig liefen die Mägde, Knechte, Pächter, Häusler zusammen, beglotzten den kämpfenden, Federn ausreißenden Samuel und das halbnackte Tier, fragten sich, warum der Knabe eine Gans rupfte, noch ehe sie geschlachtet war, und warum er mit Gänseblut malte. Sie hielten dies für eine Absonderlichkeit, die zeige, dass Samuel der Sohn der Gräfin Marie sei, nicht aber der Sohn des Grafen Maximilian. Und im Kuhmist geboren sei er obendrein.
    Sie machten jedoch keine Anstalten, das Kind vor dem Tier zu bewahren oder besser noch: das Tier vor dem Kinde. So laut riefen, lachten, spotteten sie, dass selbst der Gräf es hörte. Mit rotem Gesicht kam er von Felicitas weg in den Hof gerannt, erblickte Samuel und dachte im ersten Moment, dem Kinde sei etwas Schlimmes zugestoßen. Dies wollte er nicht, denn der Domherr könnte Rechtfertigung dafür verlangen.
    Jetzt blickten die Menschen mit ihren geöffneten Mäulern nicht mehr auf Samuel, sondern auf Graf Maximilian. Ihren aufdringlichen Blicken folgend, gewahrte er, dass er ob seiner Hast die Beinkleider nicht geschlossen hatte, und wurde rot im Gesicht vor Scham.
    Er packte den verschmierten Samuel, keifte, dass es besser wäre, wenn Marie einen Dumpen geboren hätte anstatt einen derart Missratenen, und wollte ihn nach oben schleppen. Samuel strampelte und trat nach dem Grafen wie vorhin nach dem Schreiber.
    »Du bist ja völlig irre geworden!«, stieß der Graf hervor.
    Samuel sah das Papier im Dreck des Hofes liegen und biss so heftig in des Grafen Hand, dass er fremdes, salziges Blut schmeckte. Dann gab er auf, ließ sich zu Boden fallen und zu Felicitas tragen, die das Kind scheu betrachtete und vermied, nach ihm zu fassen und es wieder auf die Beine zu stellen.
    Mit der Zeit vergaß der Graf von Altenbach-Wolfsberg, an seiner Ehe zu leiden. So zurückgezogen lebte Marie, dass er manchmal dachte, wie gut es sei, neben einem stillen Schatten zu leben anstatt bei einem zänkischen Weib. Das Geld des Domherrn verbrauchte er nicht mehr für die nutzlose Züchtung exotischer Gewächse wie dereinst sein ererbtes Vermögen, sondern gab es diesmal für Neuerungen aus, die vom fortschrittlichen England kamen. Er erprobte die Fruchtwechselwirtschaft, die Stallfütterung und künstlichen Dünger und wurde davon reicher als seine Nachbarn.
    Felicitas zeigte ihm nicht ihr wahres Gesicht, sondern nur eine Maske. Die Wünsche, die dahinter verfaulten,

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