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Engelsblut

Engelsblut

Titel: Engelsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kroehn
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vonstatten, durchdacht und irgendwie heilig – ja, genauso umschreibe ich es, vielleicht, um mein fassungsloses Starren zu erklären, meine Hingabe an ihren Anblick, meinen tiefen Respekt, der mich ob ihrer Nacktheit befiel.
    Der Zauber währt nicht ewig.
    Als sie mir das Bild reicht, ist der Bann bereits wieder gebrochen – und das Einzige, was bleibt, ist Scheu. Sie gilt nicht ihr, sondern mir selbst. Dass sie weiterhin entblößt – und mittlerweile fröstelnd – hockt, dünkt mich nicht mehr anziehend, sondern peinlich.
    Sie drängt mich in die Rolle desjenigen, der ihr diese schamlose Enthüllung mit einer Lüge abrang, auch wenn diese gnädig scheint. Sie führt mich als ehrgeizig und rücksichtslos vor – als einen, der die Hoffnungslosigkeit einer alternden Frau nutzt, um an sein Ziel zu kommen, der eine Vergebung ausspricht, obwohl diese niemals gewährt wurde. Und so glaube ich jäh, dass mir eine gerechte Strafe für mein falsches Zeugnis bestimmt sein müsse.
    Ich wage nicht, das Bild anzusehen. Es lastet schwer in meinen Händen, bedrohlich und heimtückisch. Es könnte schließlich sein, dass es mich nicht bestätigt, dass es Samuel als Mittelmäßigen entlarvt, dass es nur abstößt, anstatt mit Genauigkeit zu bestechen.
    Mein Zweifel galt bislang der Möglichkeit, seine Geschichte zu hören. Jene machte Angst und drohte mir den ungetrübten Blick zu verstellen. Jetzt bereitet mir dieser Blick größere Sorge. Mein Urteil ist durch nichts geschützt. Keine Ausrede gilt, wenn dieses Bild nicht das hält, was ich erhoffe.
    Lena ist nackt wie die Wahrheit. Und zwingt mich zur Scham.
    Hastig und um mir eine letzte Atempause zu gewähren, ergehe ich mich in Gedanken.
    Mir fällt ein, was die verrückte Veronika über sie gesagt hat. Dass sie die mächtigste Frau der Welt sei. Dass sie die Erde drehen könne. Dass sie nur nicht darum wisse. Wusste Grothusen darum? Hat er sie mir deswegen verschwiegen? Gilt dieser Frage mein Interesse – viel lauter und deutlicher als dem Bild?
    »Riecht es nach mir?«, fragt Lena unwillkürlich.
    »Was?«, gebe ich verwirrt zurück.
    »Riecht das Bild nach mir? Stinkt es nach meiner Liebe? Oder ist es geruchlos geworden wie Andreas?«
    »Lena...«, setze ich an und vermag den Augenblick nicht mehr aufzuschieben, da ich darauf sehen werde.
    »Wenn Grothusen bat, dass ich Euch das Bild gebe«, fährt sie fort, »so hat er gewiss verlangt, dass ich auch dessen Geschichte erzähle.«

»Die Liebe eines Engels ist beschränkt.
    Richtete sie sich auch nur für einen
    Augenblick auf einen Menschen,
    sie würde ihn zu Asche verbrennen.«
    MARK TWAIN

ZWÖLFTER TAG
    Es ist zu erzählen, wie Lena Susannas Kind auf die Welt
    holt, Samuel sein letztes Bild malt und Veronika ihren
    Unterrock auszieht
    Die Nacht war kohlschwarz. Gott hatte Bäume gefällt, deren Harz verbrannt und mit dem getrockneten Ruß den Himmel angepinselt.
    In dieser Nach lag Susanna in Samuels Gemach und presste ihr Kind aus sich heraus. Doktor Mohr hatte sie untersucht, festgestellt, dass der Kopf richtig lag, und die Geburt zur Sache der Frauen bestimmt. Jene beobachteten hernach Susanna, hielten ihre Hand und trockneten die Stirn. Lena war unter ihnen, trug aber lange nichts zum Gebären bei. Reglos stand sie neben dem Bett und blickte auf die Frau, die sich mit Grothusens Hilfe Samuels Gesellschaft erschlichen hatte.
    Der Takt, in dem die Wehen sie schüttelten, lullte ein. Schläfrig war die Stimmung im Raum. Ob Susanna Schmerzen verspürte, las man ihrem blassen Gesicht nicht ab. Sie lag auf dem Rücken, stierte von ihrem aufgequollenen Leib weg und gab sich mit der Geburt so wenig ab wie einst mit dem Akt der Begattung.
    Träge, wie Susanna die Geburt hinnahm, fühlte sich Lena in ihrer Gegenwart. Ausgelaugt von Samuels Gelächter und Grothusens Hass war sie geflohen, ohne zu wissen, was sie hier in Samuels Gemach erreichen wollte. Sie ahnte, dass sie Susannas Opfer entgegentreten und ihr nicht erlauben würde, sich mit diesem einzigartigen Geschenk noch mehr von Samuels Gunst zu stehlen. Bei der Gebärenden angelangt, blieb jedoch nur das Warten.
    Draußen spuckten die Wolken Frühlingsregen. Von der Erde dampfte es; die Bäume greinten. So ruhig wie oben in Samuels Kammer war es inzwischen auch im Saal. Samuel hatte aufgehört zu lachen und stattdessen befohlen, seine Malsachen zu bringen. Noch ließ er sie unberührt. Er saß neben Grothusen und starrte auf den Kelch Wein, der vor ihm auf dem Tisch

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