Engelsblut
Frauen.
Das Kind zeigte sich verstimmt.
Du musst schreien, befahl Lena, sah es an und öffnete den eigenen Mund. Du musst Susannas Plan vereiteln. Du darfst ihr nicht erlauben, dich an Samuel zu verschenken.
Unbeteiligt drehte Susanna den Kopf weg.
Schrei!, befahl Lena. Schrei!
Da quäkte das Kind. Aufgeweckt war es gezwungen zu atmen. Mit jedem weiteren Zug bekundete es, dass es leben wollte, dass Susanna es nicht einfach loswerden durfte, dass sie seine Mutter war.
Susanna gab vor, es nicht zu hören. Mit geschlossenen Augen lag sie. Sie wollte nicht sehen, was sie auf die Welt geschoben hatte, denn es hatte keinen Wert für sie, sondern war für Samuel.
Das Kind aber schrie kräftig, denn seine Stimme war gestärkt und gehalten von der Lenas. Gemeinsam erreichten sie Susanna, und weil man Lenas Blick und Lenas Stimme nachsagte, den Lauf der Welt anzuhalten und mit ihr alle Menschen, da strauchelte Susanna.
Sie flog über das eigene Kind, das sie ausgesetzt hatte, und blieb daneben liegen. Sie öffnete die Augen, sah es an und mochte nicht fortkriechen.
Lenas Schrei machte aus dem Quäken des Kindes einen Befehl. Er war herrisch und absolut und verlangte von Susanna, dass sie sich vorneigte, das Kind berührte und solcherart zum ersten Mal nach ihrem Leben packte, das sie ansonsten leise mäkelnd abgab.
»Mein Kind«, sagte Susanna. »Mein Kind.«
Ihr Flüstern brachte Lena zum Schweigen. Erstaunt hielt sie inne, nicht länger durch Protestieren gegen Susanna mit dem Kind vereint. Die Rivalin um Samuels Gunst verweigerte eigensinnig das Opfer, das Lena ihr madig machen wollte.
»Gebt es mir«, murmelte Susanna erschöpft.
Lena fühlte ihren eigenen Herzschlag wieder. Sie kroch in ihre Haut zurück und vergaß, dass sie eben noch im Kind gehockt hatte. Jetzt lag es wimmernd da und wartete, was die Welt mit ihm vorhatte.
Eine der Frauen durchschnitt die Nabelschnur.
»Wir sollten Doktor Mohr holen«, murmelte sie.
Susanna streichelte über den feuchten Kopf des Kindes.
»Nein«, brachte sie hervor, »nein – nicht den Doktor. Er darf . ihm nichts tun.«
Lena wurde hellwach, rieb sich die Augen und streifte die
Erinnerung an die letzten Stunden ab wie eine alte Haut.
»So liebst du denn Samuel doch nicht genug«, erklärte sie erleichtert – wissend, dass jener ihr gehörte.
Sie hatte Susanna an ihr Kind gebunden. Nun war sie selbst nicht länger gezwungen, auf seiner Seite zu stehen.
»Wenn du es Samuel nicht bringen willst, dann werde eben ich es tun«, erklärte sie streng.
Sich vorneigend ergriff sie das Kind und hüllte es in ein weißes Tuch. Unter ihren Armen hörte es auf zu quäken und blickte sie an.
»Lass es mir!«, flehte Susanna kraftlos. »Lass es mir!« Hilflos sanken ihre Hände zurück. Die Nachgeburt drängte zwischen ihren Beinen hervor.
Lena aber ging und betrat mit dem Kind im Arm den Saal, wo sich alle versammelt hatten für jenes große Bild, das Samuel malen würde.
Wartend auf dieses Bild waren sie selbst im Dunkeln. Die Augen des Betrachters fanden nur zwei Lichter inmitten brauner Schatten. Das eine entströmte der Lampe, die Samuel und seine Staffelei mit einem kreisrunden Schein umleuchtete. Das andere flackerte aus dem Kamin und setzte einen gelbverschmierten Kontrapunkt. An seinen Rändern stürzte der Saal ins Schwarz. Nur dort, wo Menschen standen und saßen, erhitzte eine rötlich getränkte Imprimatur die Öllasuren mit einem warmen Ton. Farblos war sie nur bei den wächsernen, ausgekühlten Gesichtern.
Samuels Antlitz im Schein der Lampe schien weiß, indessen Grothusen dunkel und aufgerichtet neben ihm stand. Sein Schatten glich schlaffen Flügeln, die seine steife Gestalt breiter dehnten. Er schien zu sprechen, aber tat es nicht.
Wortlos starrte er auf Lena, die mit dem Kind kam und es in Doktor Mohrs Arme legte, und er verstand, dass sie statt Susanna das Opfer darbrachte.
»Samuel wird in dieser Nacht einen Engel malen, der reiner und kostbarer ist als alle, die wir bisher gesehen haben«, erklärte Lena entschieden.
Müde lauschte Grothusen. »So glaubst du die Sache für dich entschieden?«, fragte er.
»Ich gehöre zu Samuel. Dich brauchen wir nicht!«
Ein letztes Mal trat er vor. Er packte sie am Arm, hielt sie fest und übertrug ihr sein Amt. »Gut«, sagte er gefasst. »Gut... Wenn du Samuel am meisten zu schenken hast, dann sei du es, die zu uns spricht. Ich trete das Wort an dich ab. Rede du an meiner statt!«
Er ließ sie los, ließ
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