Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut

Titel: Engelsbrut - Gunschera, A: Engelsbrut
Autoren: Andrea Gunschera
Vom Netzwerk:
durchströmte. Zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten fühlte er sich wieder vollständig.
    Als sie den stählernen Sarkophag von der Yacht herunter ließen und ihn in einen Lieferwagen mit abgedunkelten Scheiben verluden, dämmerte der Morgen in Purpur und Blau. Die Sonne stieg höher und vertrieb alle Schatten. Mordechai beobachtete, wie die Kiste im Innern des Laderaums verschwand. Ravin trat zu ihm und berührte ihn am Arm.
    „Ist es das?“ Eine schwer greifbare Traurigkeit schwang in der Stimme des Hünen, die Mordechai nicht zuordnen konnte. „Der große Preis, für den wir kämpfen?“
    Eine Spur Ärger mischte sich in Mordechais Gelassenheit. Auch wenn Ravin ihn seit so vielen Jahren begleitete, es gab ihm nicht das Recht, über seine Motive zu richten.
    „Diese Frau“, sagte er, ohne Ravins Frage zu beantworten, „diese Reporterin. Ich will, dass du sie findest.“
    „Ich hatte vier Männer auf sie angesetzt. Sie sind alle tot.“
    „Dann kümmere dich selbst darum.“
    „Aber wir haben den Ring“, wandte der Hüne ein.
    „Ich will, dass du sie findest.“ Mordechai kniff die Augen zusammen, als die Sonne über die Hausdächer auf der anderen Seite des Hafenbeckens stieg und ihn blendete. „Ich will, dass du sie zu mir bringst. Ich muss wissen, was das für eine Frau ist, die meinem Sohn etwas abringen konnte, das er mir verweigert hat.“

23
    E ve hörte Stoff hinter sich rascheln, dann seine Schritte auf dem Holzboden. Sie drehte sich nicht um, sondern blieb still am Fenster stehen und beobachtete weiter die Straße, die Masten der Boote auf der anderen Seite, die Stege und dahinter das Wasser, das träge in der Nachmittagssonne glänzte. Unwillkürlich spannte sie sich an, als sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte. Dann seine Finger, die ihren Nacken entlang strichen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
    „Du bist wach“, wisperte sie.
    „Wo sind wir?“, fragte Alan. Seine Stimme klang beinahe wieder normal.
    „Du erinnerst dich nicht?“
    „Kaum.“
    Nun drehte sie sich doch herum und sah ihm ins Gesicht, die blutunterlaufenen Augen. Das Shirt hatte sie ihm in der Nacht ausgezogen. Aber er trug noch immer die Jeans, die nun steif und dunkel war von getrocknetem Blut und über dem Oberschenkel zerrissen, wo eine Kugel ihn getroffen hatte.
    „Ich dachte, du würdest sterben.“ Erschöpfung überwältigte sie, die zurückliegenden Schrecken, das ganze Entsetzen der vergangenen Nacht. Sie konnte das Zittern nicht unterdrücken. Seine Hände glitten um ihre Schultern, die Seiten herunter, schmiegten sich flach um ihren Bauch.
    „Wenn du nicht mit Erik aufgetaucht wärst ...“, er führte den Satz nicht zu Ende.
    Sie dachte daran, wie sie ihn hierher gebracht hatte, in dieses Motel irgendwo an der Küste kurz vor Dana Point. Nach der Transformation, diesem beängstigenden Vorgang, der die Heilung seiner Spezies initiierte, war er halb bewusstlos gewesen und kaum in der Lage, sich aus eigener Kraft zu bewegen. Und dann hatte er gelegen wie tot und sie hatte seinem Atem gelauscht, Stunde um Stunde.
    „Wo ist Kain?“, fragte er.
    „Ich weiß nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Er war so begierig, seinen Vater zu suchen. Er hasst ihn, nicht wahr?“
    „Das tut er.“
    „Warum?“
    „Weil Mordechai leichtfertig die Leben anderer zertritt.“ Sie spürte seinen Groll unter der Oberfläche. „Vielleicht stünde ich jetzt an seiner Stelle, wenn die Würfel anders gefallen wären.“
    „Du bist nicht wie Kain.“ Sie wusste nicht, warum sie das sagte. Sie wollte die Bitterkeit von ihm nehmen, diesen Anflug von Selbsthass, der in seiner Stimme schwang. Dabei wusste sie nicht einmal, ob sie selbst ihre Worte glaubte. All die Stunden hatte sie versucht, nicht an das Blutbad zu denken, das er in dem eleganten Foyer auf dem Dach des Carnegie-Hochhauses angerichtet hatte. Als sie ihn dort sah, vom Blut seiner Opfer bedeckt wie ein Gott des Krieges, furchteinflößend sogar im Moment seines Sturzes, wusste sie nicht, ob das noch der Mann war, den sie kannte. Und sie war sich auch jetzt nicht sicher.
    Das Schweigen zwischen ihnen zog sich in die Länge. Seine Finger strichen unruhig über ihren Rücken.
    „Glaubst du, dass es vorbei ist?“, fragte sie, um die Stille zu brechen.
    „Mordechai hat, was er wollte.“ Alan stieß den Atem aus. „Und Katherina hat ihm den Krieg erklärt. Sie werden eine Zeitlang miteinander beschäftigt sein. Er kann die vergangene Nacht nicht auf sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher