Engelsgesicht
passiert?«
»Nicht hier in London. Auf dem Lande, in Kent. Praktisch in der Einsamkeit zwischen Canterbury und Dover. Es ist furchtbar, aber leider eine Tatsache.«
»Von der Sie erfahren haben?«
»Ja.«
»Und was ist mit der normalen Polizei?«
»Die steht, wie man immer so schön sagt, vor einem Rätsel, John. Man hat gewisse Dinge einfach laufen lassen. Man hat auch versucht, zu vertuschen, weil man keinen Erfolg erreichte. Man sprach von bizarren Selbstmorden und stellte sie in einen Zusammenhang mit einer dieser widerlichen Satanssekten. Ihre Kollegen aus Canterbury haben viel versucht, aber nichts erreicht. Der Fall wurde zwar nicht zu den Akten gelegt, aber auch nicht mehr intensiv bearbeitet, weil die Leute einfach nicht von der Stelle kamen.«
»Wo passierten die Taten denn genau?«
Purdy Prentiss räusperte sich. »Der Ort heißt Wingmore.«
»Kenne ich nicht.«
Sie lachte mich an. »Ich habe ihn auch nicht gekannt. Bis mir eine Freundin davon berichtet hat, die in der Nähe einige Tage Urlaub machte. Sie hat es erfahren, und ich setzte mich dann später mit den Kollegen von Canterbury in Verbindung, die mir auch Kopien der Ermittlungsunterlagen schickten, einschließlich der entsprechenden Fotos. Ich habe schlucken müssen, John.«
»Das glaube ich Ihnen. Wie lange liegen die Morde zurück?«
»Die Ermittlungen wurden vor knapp einer Woche eingestellt. Ich allerdings habe das Gefühl, dass es weitergeht. Dass die beiden ersten toten Frauen nur der Anfang gewesen sind. Ich bin davon überzeugt, dass mehr hinter den Morden steckt, als sie Kollegen vermuten.«
»Also keine Taten, die auf ein Ritual hindeuten?«
Sie wiegte den Kopf. »Doch, John, aber anders.«
» Sorry .« Ich gestattete mir ein Lächeln. »Aber das verstehe ich leider nicht.«
»Magie?«
Sie hatte das Wort mehr als Frage ausgesprochen, und da war sie bei mir an der richtigen Stelle. »Sie denken, dass es um das Blut der jungen Frauen geht?«
»Genau das denke ich. Blut...«, sie winkte ab. »Ich will gar nicht erst bei Goethe beginnen, der von einem besonderen Saft gesprochen hat, aber ich kann mir auch vorstellen, dass es eine Art von Vampirismus ist, der sich dort ausgebreitet hat. Bitte, es muss nicht sein, aber ich schließe es auch nicht aus.«
»Ja, sonst säße ich nicht hier.«
»Nun ja, so schlimm ist es auch nicht. Ich dachte mir nur, dass jemand wie Sie den Fall von hinten aufrollen kann. Gewissermaßen auch inoffiziell. Außerdem frage ich Sie: Welcher normale Verbrecher raubt seinen Opfern schon das Blut?«
»Da haben Sie Recht.«
»Eben. Deshalb gehe ich davon aus, dass mehr hinter diesen schrecklichen Taten steckt.«
Ich schaute sie an, und Purdy hielt meinem Blick stand. »Könnte es sein, dass Sie schon einen Verdacht haben oder sich der in eine bestimmte Richtung bewegt?«
»Nein, leider nicht. Wenn das der Fall wäre, hätte ich Sie nicht zu bemühen brauchen, John. Ich selbst bin noch nicht in Wingmore gewesen, doch ich stelle mir vor, dass es auch für Sie nicht einfach sein wird, mit den Menschen, die dort leben, zurechtzukommen.«
»Was macht Sie dabei so sicher?«
»Meine Gespräche mit den Kollegen aus Canterbury. Sie stießen zwar nicht eben auf einer Mauer des Schweigens, aber die Einwohner waren schon recht stumm, wenn es um den Fall an sich ging. Da hat niemand etwas gesehen oder wollte nichts gesehen haben. Hinzu kommt noch etwas, das eine gewisse Bedeutung haben kann, aber nicht haben muss. In der Nähe des Ortes oder schon dazu gehörend gibt es ein altes Museum. Sehr klein, auch nicht bekannt, aber irgendein Spinner hat dort Gegenstände gesammelt, die nicht eben als appetitlich anzusehen sind.« Sie legte wieder ihre Stirn in Falten. »Es sind die Folterinstrumente unserer glorreichen Vorfahren.«
»Auch das noch.«
»Daumenschrauben, Streckbänke, eine Eiserne Jungfrau. Also alles, was man sich vorstellen kann.«
Das passte mir natürlich nicht. Ich fragte: »Haben die Kollegen auch dort nachgeschaut?«
»Das taten sie. Es wurden keine Spuren gefunden. Kann sein, dass sie auch nicht gründlich genug gesucht haben, aber das will ich nicht unterstellen.«
»Sie halten es für wichtig, Purdy.«
Die Staatsanwältin reckte sich leicht. »Es ist alles wichtig, was dort passiert. Jede Tat, jeder Bewohner, jeder Mensch, und auch sogar der Pfarrer.«
»Wie kommen Sie auf den?«
»Die Kollegen hatten einfach das Gefühl, dass er mehr weiß, aber nichts zugeben wollte. Er hielt sich
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