Engelslicht
nach allem, was sie bekommen konnte. Ihre Hände suchten den beinahe nackten Körper des anderen so leidenschaftlich ab, als küssten sie sich nur um des Vergnügens willen. Luce wollte nicht aufhören. Aber sie hatten nur acht Tage. Als sie schließlich nickte zum Zeichen, dass sie genug hatte, grinste Daniel und löste sich von ihr.
Sie kehrten zu der kleinen Öffnung zurück, die einmal Fensterglas enthalten hatte. Daniel positionierte sich so, dass sein Glühen hineinschien, um ihr den Weg zu weisen. Sie wand sich langsam durch das Fenster. In der Kirche kam es ihr sofort kalt und unsinnigerweise beengt vor. Das war merkwürdig, denn die Kathedrale war riesig: Ihre Decken waren einige Dutzend Meter hoch und Luce hatte den Ort für sich allein.
Vielleicht war das ja das Problem. Daniel schien auf der anderen Seite des Fensters zu weit weg zu sein. Zumindest konnte sie vor sich den Engel sehen. Sie schwamm auf den goldenen Heiligenschein zu und umfasste ihn mit beiden Händen. Sich an Daniels Anweisungen erinnernd, drehte sie den Heiligenschein, als steuere sie einen Greyhound-Bus.
Er rührte sich nicht.
Luce packte den glitschigen Heiligenschein fester. Sie rüttelte ihn hin und her und nahm alle Kraft zusammen, die sie hatte.
Langsam, ganz langsam knarrte er und bewegte sich ein Stück nach links. Sie strengte sich erneut an, wobei sie verzweifelt Bläschen ausstieß. Gerade als sich Erschöpfung bemerkbar machte, löste sich der Heiligenschein und drehte sich. Daniels Miene nahm einen stolzen Ausdruck an, als er sie und sie ihn ansah und ihre Blicke sich ineinander verwoben. Sie dachte kaum noch über ihren Atem nach, während sie sich mühte, den Heiligenschein loszuschrauben.
Schließlich löste er sich. Sie schrie vor Freude auf und war erstaunt über sein ansehnliches Gewicht. Doch als sie zu Daniel aufschaute, sah er sie nicht mehr an. Er blickte nach oben, weit in die Ferne.
Und dann war er verschwunden.
Vier
Die Katze im Sack
Luce war allein in der Dunkelheit.
Wo war er?
Sie schwamm näher an das Loch im Boden heran, wo der Engel eingesunken war – wo nur Sekunden zuvor Daniels Licht ihr den Weg geleuchtet hatte.
Nach oben. Es war die einzige Möglichkeit.
Der Druck in ihren Lungen wuchs schnell und breitete sich in ihrem ganzen Körper aus, pochte in ihrem Kopf. Mittlerweile war die Luft, die sie von Daniel erhalten hatte, aufgebraucht. Sie konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Sie konnte nicht denken. Sie durfte nicht in Panik geraten.
Luce stieß sich von dem zerstörten Kirchenboden ab und versuchte, an die Stelle zu gelangen, wo sie das Fenster vermutete, durch das sie in die Kathedrale gekommen war. Mit zitternder Hand tastete sie die muschelbedeckten Wände ab, suchte nach der schmalen Öffnung, durch die sie sich wieder hindurchzwängen musste.
Da.
Sie schob die Hände aus der Ruine und spürte, wie warm das Wasser draußen war. In der Dunkelheit wirkte die Öffnung noch schmaler und unpassierbarer als zuvor. Aber es war der einzige Weg hinaus.
Mit dem Heiligenschein, den sie sich unbeholfen unter das Kinn geklemmt hatte, stieß Luce sich vorwärts und stemmte die Ellenbogen gegen die Außenmauer des Gebäudes, um sich hindurchzuziehen. Erst die Schultern, dann die Taille, dann …
Ein stechender Schmerz fuhr ihr durch die Hüfte.
Ihr linker Fuß steckte fest, an einer Stelle, die sie weder erreichen noch sehen konnte. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie schrie frustriert auf. Sie sah die Bläschen aus ihrem Mund nach oben steigen – nach oben, wohin sie ebenfalls musste –, und sie trugen in sich mehr Kraft und Luft, als sie noch übrig hatte.
Halb drinnen und halb draußen, kämpfte Luce in nackter Angst. Wenn Daniel nur hier wäre …
Doch Daniel war nicht da.
Den Heiligenschein in einer Hand, zog sie die andere wieder durch das enge Fenster, schob sie dicht am Körper hinab und versuchte, ihren Fuß zu erreichen. Ihre Finger trafen auf etwas Kaltes, Gummiartiges und Unbekanntes. Ein Stück davon löste sich in ihrer Hand und zerfiel. Sie wand sich angewidert, mühte sich aber weiter ab, den Fuß loszureißen. Sie konnte kaum noch etwas sehen, ihre Fingernägel rissen ein und ihr Knöchel war ganz wund vom Ziehen und Zerren – dann war sie plötzlich frei.
Ihr Bein schoss ruckartig nach oben, und dabei schlug ihr Knie so heftig gegen die bröckelnde Mauer, dass sie wusste, sie hatte es sich aufgeschlagen. Aber das spielte keine Rolle: Hektisch schob sie sich
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