Engelslicht
Reisenden gechartert worden waren, und bunten Kajaks mit amerikanischen Rucksacktouristen. Alle, Gondeln und Kähne und Polizeiboote, fuhren kreuz und quer durcheinander.
Daniel manövrierte ihre Gondel mühelos durch das Gewirr und zeigte in die Ferne. »Siehst du die Türme?«
Luce schaute über die bunten Boote hinweg. Der Horizont war eine schwache Linie, wo das Blaugrau des Himmels das dunklere Blaugrau des Wassers berührte. »Nein.«
»Konzentrier dich, Luce.«
Nach einigen Momenten kamen zwei kleine grünliche Türme – sie hätte nie geglaubt, dass sie ohne Fernrohr so weit sehen könnte – in Sicht. »Oh. Da.«
Daniel trieb das Boot noch schneller voran, nachdem sie aus dem dichtesten Gedränge heraus waren. Das Wasser wurde bewegter, seine Farbe veränderte sich zu einem Dunkelgrün, und es begann eher wie das Meer zu riechen als nach dem eigenartig reizvollen Schmutz Venedigs. Luces Haar wehte im immer kälteren Wind. »Wir können nur hoffen, dass unser Heiligenschein nicht schon von Unterwasserarchäologen geklaut worden ist.«
Zuvor hatte Daniel sie gebeten, kurz auf ihn zu warten. Er war in einer schmalen Gasse verschwunden und im Nu mit einer kleinen rosa Plastiktüte zurückgekommen. Als er sie ihr jetzt zuwarf, zog Luce eine Schwimmbrille heraus. Sie sah idiotisch teuer und nicht sehr funktional aus: malvenfarben und schwarz mit modischen Engelsflügeln an den Rändern der Gläser. Luce konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal mit einer solchen Brille geschwommen war, aber als sie über das dunkle schwarze Wasser sah, war sie dankbar, ihre Augen schützen zu können.
»Schwimmbrille, aber kein Badeanzug?«, fragte sie.
Daniel errötete. »Ich schätze, das war dumm. Aber ich war in Eile und habe nur daran gedacht, was du brauchen würdest, um den Heiligenschein zu finden.« Er trieb die Gondel weiter auf die Türme zu. »Du kannst doch in deiner Unterwäsche schwimmen, oder?«
Jetzt wurde Luce rot. Unter normalen Umständen wäre die Frage vielleicht aufregend gewesen, etwas, über das sie zusammen hätten kichern können. Aber nicht in diesen neun Tagen. Sie nickte. Acht Tage waren es jetzt noch. Daniel war todernst. Luce schluckte nur hörbar und sagte: »Natürlich.«
Die beiden grüngrauen Türme wurden größer, zeichneten sich klarer ab, und dann hatten Luce und Daniel sie auch schon erreicht. Sie waren hoch und konisch und bestanden aus grünspanüberzogenen Kupferlamellen. Früher waren sie von kleinen tropfenförmigen Kupferfähnchen bekrönt worden, die aussahen, als kräuselten sie sich im Wind, aber eine verwitterte Flagge war von Löchern durchsetzt und die andere war ganz abgebrochen. Auf dem offenen Wasser wirkten die herausragenden Türme bizarr und ließen auf eine höhlenartige Kathedrale in der Tiefe schließen. Luce fragte sich, vor wie langer Zeit die Kirche versunken war, wie tief sie unter der Oberfläche lag.
Der Gedanke, dort in einer lächerlichen Schwimmbrille und von Mom gekaufter Unterwäsche hinabzutauchen, ließ sie schaudern.
»Diese Kirche muss riesig sein«, sagte sie. Sie meinte: Ich glaube nicht, dass ich das kann. Ich kann unter Wasser nicht atmen. Wie sollen wir einen kleinen Heiligenschein finden, der mitten im Meer versunken ist?
»Ich kann dich bis zur Kapelle begleiten, aber nicht weiter. Solange du meine Hand festhältst.« Daniel reichte Luce eine warme Hand, um ihr zu helfen, in der Gondel aufzustehen. »Das Atmen wird kein Problem sein. Aber die Kirche wird immer noch geweiht sein, was bedeutet, dass du den Heiligenschein finden und holen musst.«
Daniel zog sich das T-Shirt über den Kopf und ließ es auf die Sitzbank der Gondel fallen. Dann trat er schnell aus seiner Hose, ohne im Boot das Gleichgewicht zu verlieren, und schlüpfte aus den Tennisschuhen. Luce beobachtete ihn und spürte, wie sich etwas in ihr regte, bis ihr bewusst wurde, dass sie sich ebenfalls ausziehen sollte. Sie streifte die Stiefel ab, zog sich die Socken aus und schälte sich, so züchtig sie konnte, aus ihren Jeans. Daniel hielt ihr die Hand hin, um ihr zu helfen, damit sie nicht fiel; er sah ihr zu, aber nicht so, wie sie es erwartet hätte. Er machte sich Sorgen um sie, wegen ihrer Gänsehaut. Er rieb ihr die Arme, nachdem sie den Pullover ausgezogen hatte und nun frierend in der vernünftigen Unterwäsche dastand, in der Gondel mitten in der venezianischen Lagune.
Wieder zitterte sie, ob vor Kälte oder Furcht konnte sie nicht sagen. Aber ihre
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