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Engelslicht

Engelslicht

Titel: Engelslicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Kate
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sagte sie zu Daniel. »Können wir es noch einmal probieren?«
    »Okay, wie wäre es mit einem anderen Wüstenleben? Du hast in der Sahara gelebt, als ich dich fand. Groß und schlaksig warst du und die schnellste Läuferin des Dorfes. Ich war auf der Durchreise, auf dem Weg zu einem Besuch bei Roland, und habe für die Nacht an der nächstgelegenen Quelle Rast gemacht. Alle anderen Männer waren mir gegenüber sehr misstrauisch, aber …«
    »Aber mein Vater hat dir drei Zebrafelle für das Messer bezahlt, das du in deiner Tasche hattest!«
    Daniel grinste. »Er hat hart gefeilscht.«
    »Das ist Wahnsinn«, sagte sie, beinahe atemlos. Wie viele Erinnerungen hatte sie noch, von denen sie nichts wusste? Wie weit konnte sie in der Zeit zurückgehen? Sie drehte sich zu Daniel um, zog die Knie an und beugte sich vor, sodass sie sich fast an der Stirn berührten. »Kannst du dich an alles aus unseren Vergangenheiten erinnern?«
    Daniels sah sie mit einem weichen Blick an. »Manchmal gerät mir die Reihenfolge durcheinander. Ich gebe zu, ich erinnere mich nicht an lange Zeitspannen, die ich allein verbracht habe, aber ich kann mich an jede Gelegenheit erinnern, wenn ich dein Gesicht zum ersten Mal gesehen habe, an jeden Kuss auf deine Lippen. Jede einzelne Erinnerung mit dir ist noch da.«
    Luce wartete nicht darauf, dass Daniel sich vorbeugte, um sie zu küssen. Stattdessen senkte sie ihre Lippen auf seine und genoss sein überraschtes, freudiges Aufstöhnen, wollte ihn von jedem Schmerz befreien, den er jemals über ihren Verlust empfunden hatte.
    Daniel zu küssen war irgendwo zwischen berauschend neu und unverkennbar vertraut, wie eine Kindheitserinnerung, die einem vorkam wie ein Traum, bis in einer alten Schachtel auf dem Dachboden ein fotografischer Beweis gefunden wurde. Luce hatte das Gefühl, als hätte sie einen ganzen Hangar voll monumentaler Fotografien entdeckt, und all diese begrabenen Momente seien aus ihrer Gefangenschaft in die tiefsten Gründe ihrer Seele entlassen worden.
    Sie küsste ihn nun, aber seltsamerweise küsste sie ihn damals. Sie konnte die Geschichte ihrer Liebe beinahe berühren, konnte ihr Wesen auf der Zunge schmecken. Ihre Lippen zeichneten Daniels Lippen nicht nur jetzt nach, sondern auch in einem anderen Kuss, einem älteren Kuss, einem Kuss wie diesem, mit ihrem Mund an der gleichen Stelle und seinen Armen auf die gleiche Art um ihre Taille. Er schob die Zunge gegen ihre Zähne, und das rief die Erinnerung an eine Handvoll anderer Küsse wach, von denen jeder einzelne berauschend gewesen war. Als er ihr über den Rücken strich, spürte sie hundert Schauder wie diesen. Und als sie die Lider flatternd hob und senkte, schien sein Anblick durch die halbgeschlossenen Augen eintausend Küsse tief zu sein.
    »Daniel.« Die tonlose Stimme eines Outcasts beendete Luces Tagtraum. Der bleiche Junge ragte vor ihnen auf und schaute von dem hohen Felsen herunter, gegen den sie sich gelehnt hatten. Durch seine grauen, beinahe durchscheinenden Flügel sah Luce eine Wolke am Himmel vorüberziehen.
    »Was gibt es, Vincent?«, fragte Daniel und erhob sich. Er musste die Namen der Outcasts aus ihrer gemeinsamen Zeit im Himmel vor dem Sturz kennen.
    »Verzeih mir die Störung«, sagte der Outcast, der so unhöflich war, den Blick nicht von Luces brennenden Wangen abzuwenden. Wenigstens konnte er sie nicht wirklich sehen.
    Sie stand schnell auf, zog ihren Pullover zurecht und legte sich eine kalte Hand auf die heiße Wange.
    »Sind die anderen eingetroffen?«, rief Daniel nach oben.
    Der Outcast stand reglos über ihnen. »Nicht direkt.«
    Daniels rechte Hand legte sich um Luces Taille. Mit einem sanften Rauschen seiner Flügel überwand er die steile, haushohe Felswand, wie ein Sterblicher vielleicht eine Stufe auf einer Treppe hochgehen würde. Luce rutschte vor lauter Erregung über ihren Aufstieg der Magen in die Kniekehle.
    Nachdem Daniel Luce auf dem felsigen Plateau abgesetzt hatte, drehte er sich um. Die fünf Outcasts, die sie begleitet hatten, kauerten um eine Gestalt. Als Daniel den sechsten Outcast sah, zuckte er zusammen, und seine Flügel fuhren vor Schreck zurück.
    Der Junge war klein, schmal gebaut und hatte große Füße. Sein Kopf war frisch rasiert. Er hätte etwa vierzehn sein können, wenn die Outcasts in sterblichen Jahren gealtert wären. Jemand hatte ihn verprügelt und übel zugerichtet.
    Sein Gesicht war zerschrammt, als hätte man ihn immer wieder gegen eine Ziegelmauer

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