Engelslieder
geschätzten Alter ist das leider alles.”
“Jedes Detail ist hilfreich.” Lisa tippte die Daten ein, klickte auf die “Suchen”-Schaltfläche und wartete auf die Ergebnisse. Der Computer spuckte mehrere Seiten mit Fotos von Schülerinnen aus, auf die wenigstens ein paar der Suchkriterien passten. Autumn sah sich jedes Gesicht genau an. Einige der Mädchen hatte sie auf dem Schulhof gesehen, aber keines kam ihr bekannt vor. Keines hieß Molly, und keines hatte Ähnlichkeit mit dem kleinen Mädchen aus ihrem Traum.
“Umfasst die Suche auch frühere Jahrgänge?”, fragte Autumn. “Vielleicht war die Schülerin im letzten Jahr hier und ist dann mit ihren Eltern weggezogen.”
“Wir haben die Namen und Fotos. Allerdings müssten wir das Alter korrigieren, wenn du glaubst, dass sie erst sechs ist. Dann war sie im letzten Jahr fünf.”
Autumn seufzte. “Sie könnte genauso gut jünger oder älter sein. Ich weiß es nicht.” In Wahrheit hatte sie keine Ahnung, ob das kleine Mädchen überhaupt existierte.
“Ich zeige dir die Fotos der letzten drei Jahre, dann kannst du sie nach dem Mädchen durchsehen.”
“Danke, Lisa.”
Sie sichtete die Bilder, jedoch ohne Erfolg. Nachdem Autumn sich jedes Kind gründlich angesehen hatte, richtete sie sich mit steifem Nacken wieder auf.
“Tja, das ist alles”, meinte Lisa.
“Ich bin dir wirklich sehr dankbar für deine Hilfe, auch wenn wir sie nicht gefunden haben.”
Lisa rutschte mit ihrem Stuhl vom Computer zurück. “Verrätst du mir jetzt, warum du dieses Mädchen suchst?”
Autumn sah ihre Freundin aufmerksam an, während sie abwog, ob sie ihr die Wahrheit sagen sollte oder nicht. Sie seufzte. “Ich habe von ihr geträumt. Das Seltsame ist, dass ich immer wieder denselben Traum habe: Ein Mann, den sie nicht kennt, überredet sie, in sein Auto zu steigen, und fährt mit ihr davon. Kurz danach endet der Traum, aber ich habe das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren wird. Ich habe mir überlegt, sie zu suchen und ihre Eltern zu warnen. Natürlich weiß ich, dass es nur ein Traum ist, der wahrscheinlich nicht wahr wird.”
Lisa steckte sich über dem Ohr einen Bleistift ins hellbraune Haar. “Aber er könnte wahr werden. So was sieht man doch andauernd im Fernsehen.”
Autumn entspannte sich und lächelte. “Das habe ich auch gedacht. Danke für dein Verständnis.”
“Sicher. Viel Glück – so oder so.”
Autumn nickte und ging zur Tür. Auf dem Heimweg schaute sie jedem kleinen Mädchen, das ihr entgegenkam, genau ins Gesicht. Womöglich hatte sie das Kind auf der Straße gesehen. Aber keines der Gesichtchen kam ihr bekannt vor.
Als sie zu Hause ankam, war sie müde.
Und bei der Suche nach dem kleinen Mädchen noch keinen Schritt weiter als am Morgen.
In jener Nacht hatte Autumn wieder den Traum. Genau denselben wie in den vergangenen drei Nächten, wenn er auch von Mal zu Mal detaillierter wurde. Diesmal erkannte sie, dass der Mann mit dem Welpen blond und hellhäutig war. Er hatte ein freundliches Lächeln und Lachfalten in den Augenwinkeln.
Und der kleine rothaarige Junge hieß Robbie. Sie hörte, wie eines der anderen Kinder ihn so nannte. Doch wie zuvor wachte Autumn an der Stelle auf, als der kleine Rotschopf die Hand ausstreckte und den Türklopfer betätigte. Und wie zuvor erstarb die Warnung an das blonde Mädchen, die ihr auf den Lippen lag, als sie realisierte, dass es nur ein Traum gewesen war.
Sie lehnte sich gegen das weiße, schmiedeeiserne Kopfende ihres Himmelbetts und fuhr sich mit der Hand durch das schweißnasse Haar. Sie versuchte sich einzureden, dass sie nichts Schlimmes gesehen hatte – nur ein kleines Mädchen, das in ein Auto einstieg –, aber sie konnte sich nicht vorstellen, warum ein Mann ein offensichtlich fremdes Kind von dessen Freunden und Familie weglocken sollte, wenn nicht aus niederträchtigen Beweggründen.
Es war zwei Uhr morgens. Autumn legte sich wieder hin und versuchte einzuschlafen, doch Stunde um Stunde verstrich. Dann endlich packte sie die Erschöpfung, und sie fiel in einen unruhigen Schlaf.
3. KAPITEL
E s war Dienstag. An diesem Morgen gab Autumn keinen Kletterkurs. Da sie glaubte, ein hartes Workout würde ihren Kopf freipusten, den müden Körper beleben und die verdrehten Gedanken entwirren, machte sie sich auf den Weg zum Fitnessclub. Danach würde sie Joe Duffy anrufen, einen Kletterkumpanen und Freund, der für die Seattler Polizei arbeitete.
Als sie kurz vor Mittag zurück in
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