Engelspakt: Thriller (German Edition)
ab und beugte sich so weit zu ihr herüber, dass sie seinen Zigarettenatem wahrnehmen konnte.
»Was ist im letzten Jahr tatsächlich geschehen? Erst die unerklärliche Erkrankung Seiner Heiligkeit. Dann die Morde an etlichen Geistlichen. Was hatten Pater Darius, Kardinal Ciban, Kardinal Benelli und Sie damit zu tun?«
Catherine fasste all ihren Mut zusammen. Sie hatte Ciban schon mehrmals die Stirn geboten, sogar während jener Anhörung, in der es um ihr Werk gegangen war. Sie würde Gasperetti auf gar keinen Fall von den Hintergründen berichten. Weder davon, wie Kardinal Benelli ihr in der Ciban-Villa offenbart hatte, dass Darius ermordet worden war, noch dass es mehrere Anschläge auf den Papst gegeben hatte und nur sie allein den Heiligen Vater mit ihrer Gabe würde retten können. Niemals würde sie Gasperetti in das unfassbare Geheimnis um den Papst einweihen, in jenes Bündnis, das zwischen der Menschheit und der Apokalypse stand.
Sie blickte dem Kardinal in die Augen, wobei ihr das Herz fast bis zum Hals schlug. »Sagen wir einfach, eine Macht, die der Finsternis nicht das Feld überlassen will, hat dem Morden ein Ende bereitet.«
Gasperetti nahm ihre ausweichende Antwort überraschend gelassen hin. »Die Sache mit Darius tut mir leid«, sagte er schließlich. »Sie können mir glauben, ich hatte mit seinem Tod nicht das Geringste zu tun.«
»Ich weiß, Eminenz. Dennoch werde ich nicht zum Lux zurückkehren. Ich bin kein Mitglied mehr. Weder offiziell noch inoffiziell.«
Darius hatte nicht nur dafür gesorgt, dass sie das Lux hatte verlassen können, er hatte sie auch vor dem Vergessen bewahrt, obwohl Gasperetti darauf bestanden hatte. Die erzwungene partielle Amnesie hätte unter anderem ihre Gabe eliminieren sollen. Ein solcher Eingriff, immerhin eine neurochirurgische Operation, konnte schlimme Folgen haben. Normalerweise war das der Tribut, den man bezahlte, wenn man das Lux Domini verließ.
»Sie können es nicht wissen, Schwester«, erklärte Gasperetti, als spräche er zu einem Freund. »Aber Ihre Freiheit hatte einen hohen Preis, und Ihr toter Mentor ist nicht mehr in der Lage, diesen als Mitglied des Lux zu entrichten. In gewisser Weise erben Sie nun diese Last.«
Catherine fuhr der Schreck durch alle Glieder, aber es gelang ihr, dem Blick des Kardinals nicht auszuweichen. »Ich bin den Ambitionen gewisser Geistlicher gegenüber nicht blind, Eminenz.«
»Ich bitte Sie, Schwester, ich arbeite doch nicht für den Teufel.« Als Catherine nicht antwortete, fügte Gasperetti hinzu: »Aber es wird der Tag kommen, an dem ich Sie um einen Gefallen als Gegenleistung für Ihre Freiheit bitten muss. Und ich hoffe, Sie sind dann – in unser aller Interesse – kooperativ.«
»Wenn es so weit ist, werden wir sehen, Eminenz.«
»Wenn es so weit ist, werden wir gezwungen sein, unverzüglich zu handeln«, sagte Gasperetti ernst. Fürs Erste schien er dennoch mit dem Ergebnis des Treffens zufrieden zu sein. »Bitte verzeihen Sie mir meinen Auftritt, Schwester. Leider haben Sie mir keine andere Wahl gelassen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«
Der alte Kardinal gab dem Fahrer ein Zeichen, und dieser öffnete Catherine die Tür. Der frische Wind schlug ihr wie ein nasskaltes Handtuch ins Gesicht. Als die schwarze Limousine sich gemächlich in Bewegung setzte, konzentrierte Catherine sich darauf, ihr nicht wie hypnotisiert nachzustarren.
4.
»Konzentriere dich«, sagte der Doktor.
David starrte auf die Fotos. Fast hörte er, wie der kleine, dicke Wissenschaftler auf der anderen Seite der Wand den Atem anhielt.
David konzentrierte sich zunächst auf das Foto mit dem weiß gekleideten Mann, das heißt, eigentlich entspannte er sich dabei. Mit neun Jahren hatte er bei einer Testreihe festgestellt, dass Fotos für ihn mehr waren als bloße Abbilder. Wenn er sie lange genug betrachtete, wenn er sie lange genug auf sich wirken ließ, erzählten sie ihm eine Geschichte. Diese begann meist in der Gegenwart und deutete in die Zukunft.
David blickte auf das Foto mit dem alten Mann mit dem weißen Käppchen, als spähte er aufs Meer hinaus und suchte am Horizont nach einem Orientierungspunkt. Und dann, nach einigen Minuten, geschah, was er selbst nicht verstand und der Doktor niemals begreifen würde. Das Abbild des alten Mannes begann lebendig zu werden, begann zu erzählen, von Dingen, die nicht vergessen werden konnten, ganz gleich ob sie bereits geschehen waren oder noch geschehen würden. David
Weitere Kostenlose Bücher