Engelstation
weiß nur, daß die Runaway da hingeflogen ist.«
Marco wandte sich zu Kit. »Wir fliegen in vierundzwanzig Stunden los. Ich will, daß du alle alarmierst. Wenn sie nicht an Bord sind, suchst du sie und benachrichtigst sie.«
Kit sah ihn überrascht an. »Wir müssen die PDK-Fracht laden und nach Maskerade bringen.«
»Dafür heure ich ein anderes Schiff an – gibt ja genug Tramper, die hier festsitzen und auf der Suche nach einer Fracht sind. Die Andiron wird unsere Lieferung wahrscheinlich übernehmen, wenn wir ihre Dockgebühren zahlen.« Marco machte ein finsteres Gesicht. »Da zahlen wir zwar ein bißchen drauf, aber vielleicht ziehen wir dafür den Hauptgewinn.«
»Und was ist mit mir?« fragte Kit.
Marco stieß seinen Sessel auf den Schienen zurück und stand auf. Holographische Sterne spiegelten sich funkelnd in dem silbernen Kruzifix, das er an einem engen Riemen um den Hals trug.
»Was soll mit dir sein, Kleiner?«
»Der Transfer zur Familia . Soll ich hier warten oder mit dem Tramper fliegen?«
»Fürs erste bleibst du bei uns.«
Kit richtete sich überrascht auf und schaute dem Alten ins Gesicht. Er hätte es wissen sollen.
»Wir hatten eine Abmachung.«
»Die gilt auch noch, Kleiner. Aber wir müssen so schnell wie möglich nach Santos 448, und ich will jeden Shooter einsetzen, den wir haben. Auf dem Rückweg setzen wir dich auf der Engelstation oder sonstwo auf der Strecke der Familia ab.«
»Du meinst, ich soll einen Schuß machen?« Er konnte es nicht glauben.
»Verdammt noch mal.« Marco funkelte ihn an. »Wir werden dir einen Schuß irgendwo mitten auf der Strecke geben, wo du uns nicht zu weit vom Kurs abbringst, wenn du Mist baust.« Er stieß seinen Mittelfinger in Kits Richtung. »Jetzt mach, daß du rauskommst, und sag den anderen Bescheid, daß wir abfliegen!«
Kit taumelte zum nächsten Kommunikationsgerät. Er wußte nicht recht, ob er Marco glauben sollte oder nicht. Er bekam mit, wie Marco hinter ihm aus seinem Büro schlurfte und auf die blau gestrichene Kabine zusteuerte, die in einen Schrein für die Mutter Gottes verwandelt worden war.
Kit wußte, daß er dort viel Zeit verbrachte. Er handelte mit Gott, hatte Kit immer vermutet, wobei er die Jungfrau Maria als seine Agentin benutzte: Perlen und Kerzen im Austausch gegen Handelsgeschäfte.
Eine jähe Einsicht streifte seinen Rücken wie die Berührung einer Dekompressionswelle. Vielleicht verbrachte Marco seine Zeit damit, um Vergebung zu bitten, dachte Kit.
Der Gedanke kühlte sein Triumphgefühl ab. Er wollte Marco nicht als derart real und komplex betrachten. Wollte in ihm nichts anderes als einen Feind sehen.
»Irgendso ‘ne neue Ladung; was ganz Dringendes. Marco hat mir nicht gesagt, was es ist. Vielleicht transportieren wir was von dem Zeug, das die Runaway auf die Station gebracht hat.«
Bedauern schlich auf leisen Pfoten durch Marias Herz. Sie schaute sich Kits Nachricht an, sah die neue Härte in seinem Blick, in seinen Augen.
»Jedenfalls fliegen wir morgen ab. Ich hab also keine Zeit mehr, dich zu sehen.« Er zögerte. Sein Blick wurde ein wenig sanfter. »Bis zum nächsten Jetzt.«
Ende der Nachricht. Maria warf einen Blick auf den Cursor, der in der oberen linken Ecke des nunmehr leeren Schirms tanzte, erwog, die Botschaft noch einmal abzuspielen, und entschied sich dagegen. Sie löschte sie. Der Kommandokäfig quietschte, als sie die Kommunikationstafel verließ.
Kit hatte sich verändert. Er war erwachsener, entschlossener geworden … mehr wie ein de Suarez. Sein früherer zielloser Groll war jetzt feingeschliffene Wut; die Gefühle, die einmal offen gewesen waren, hatte er jetzt fest im Griff. Als er auf die Ausbildung zu sprechen gekommen war, hatte sie das Gefühl gehabt, daß er die Frage nicht so sehr aus dem Wunsch zu fliehen heraus gestellt hatte, sondern um eine Tür seiner Vergangenheit zu schließen, eine Frage zu beantworten, die in ihm selbst zu lange ungeklärt geblieben war.
Überleben, darum ging es. Kit hatte sich an die Lebensweise der de Suarezes angepaßt. Praktisch, skrupellos, maskulin, all die Eigenschaften, auf die Marco Wert legte. Kit war nicht Ridge und würde es zum Glück nie sein, aber er hatte genug von diesen Charakterzügen übernommen, um zu den anderen zu passen.
Vielleicht hatte er sich in mancher Hinsicht sogar zum Positiven verändert, dachte sie.
Während die Abrazo vom Dock abkoppelte und sich von der Bezel-Station entfernte, verließ die Runaway die
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