Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
hochgefahrener Motoren. An das knirschende, quietschende Zerren der großen Winde, an der Manfred Graber lehnte. Den Blick auf den Bodden gerichtet, wo die Fahrrinne gewesen sein musste. Seit fast zwanzig Jahren nicht genutzt. Nicht mehr schiffbar, versandet.
Pieplow stellte das Auto am Ende der Betonpiste ab. Das Gras dämpfte das Geräusch seiner Schritte, als er auf den Mann an der Seilwinde zuging.
»Moin, Manfred.« Pieplow machte sich schon aus einiger Entfernung bemerkbar.
Manfred Graber wandte den Kopf und starrte ihm entgegen. Seine Hände, tief in den Taschen der Arbeitshose verborgen, waren zu Fäusten geballt. In seinem Gesicht hatte die Zeit hinter dem Lkw-Lenkrad ihre Spuren hinterlassen. Die Sonne hatte es durch die Scheiben gegerbt und zerklüftet, auf der Stirn und um die hellblauen Augen den Ausdruck höchster Konzentration eingeprägt und ihm die Entschlossenheit gegeben, die haben muss, wer auf sich allein gestellt ist.
»Was willst du?«, schnauzte er, ohne Pieplows Gruß zu erwidern.
Pieplow beschloss, nicht lange drum herumzureden. »Dich fragen, wo du vorgestern Nacht warst. Sagen wir zwischen elf und vier.«
»Was soll das denn?« Dass er die Arme jetzt in die Seiten stemmte, ließ ihn noch kräftiger und Pieplow daneben wie einen Hänfling wirken. »Dreht ihr jetzt komplett am Rad? Wo ich vorgestern war, geht dich einen Scheißdreck an!«
Pieplow zog langsam eine Schulter hoch und machte ein skeptisches Gesicht. Sagen musste er nichts. Manfred Graber war nicht blöd. Brauchte eben nur eine Weile, bis er einsah, dass es vernünftiger war, Auskunft zu geben.
»Wer war’s? Wer hat mich angeschwärzt?« Graber spuckte aus, verächtlich und voller Wut. Der Qualster klatschte unangenehm dicht vor Pieplows Schuhspitzen auf den Beton.
»Darum geht es nicht.« Pieplows Ton wurde scharf. »Sag, wo du warst. Ich nehme es zu Protokoll, leite es weiter, und die Sache ist erledigt. Wenn du dich querstellst, muss ich dich nach Bergen bringen. Oder die Kripo holt dich. Mit allem Tamtam, wenn du es drauf anlegst.«
In Grabers Gesicht arbeitete es. »Zu Hause, verdammt! Ich war zu Hause, wo denn sonst?«
»Im Hochland zum Beispiel. Du wärst nicht der Erste, der sich da rumtreibt.«
»Schwachsinn. Wozu denn? Um alte Weiber den Swanti runterzuschubsen? Du hast doch nicht alle Latten am Zaun!« Graber tippte sich zornig gegen die Stirn. »Warum sollte ich so was Hirnrissiges tun?« Er trat mit so viel Wucht gegen die Seitenwand der Winde, dass Rost nach allen Seiten spritzte.
»Sorgen?«, schlug Pieplow vor. »Es heißt, dir steht das Wasser bis zum Hals. So was kann einen doch um den Schlaf bringen.« Und zum Mörder machen, ergänzte er stumm und erkannte, dass Graber dasselbe dachte.
»Na klar! Die Alte hatte ja Geld!«, rief er höhnisch. »Geld, das einer gut brauchen kann, dem die Bude überm Kopf verrottet! Dem kein Aas mehr was leiht, um den ganzen Scheiß am Laufen zu halten!« Er machte einen Schritt auf Pieplow zu und senkte die Stimme. »Ich sag dir was. Dagegen, dass die Alte tot ist, hab ich nichts. Ich konnte sie nicht ausstehen mit ihrem verlogenen Geistund Seele-Gesülze. Wenn du’s genau wissen willst – ich konnte sie so wenig ausstehen, dass ich mich lieber aufhänge, als ihr Geld zu nehmen.« Er fuhr sich dort, wo der Strick sitzen musste, mit den Fingerspitzen am Hals entlang. »Und jetzt lass mich in Ruhe!« Er drehte sich um und sah wieder aufs Wasser.
Aber Pieplow war noch nicht fertig. »Wenn du zu Hause warst, wie du behauptest, warum hast du dann nicht gemerkt, dass dein Junge nicht da war?«
»Wer sagt das?« Graber fuhr herum, die Hand wie zum Schlag hochgerissen, als solle Pieplow die Ohrfeigen beziehen, die Harri zugedacht waren.
»Ich sage das. Also: Warum?«
»Was weißt du schon? Durchs Fenster abgehauen ist er, wie immer. Aber seine Abreibung hat er dafür schon gekriegt.«
In Pieplows langsamem Seitwärtsnicken lag Zweifel. Ob am Wahrheitsgehalt der Aussage oder an der Wirksamkeit der Erziehungsmethode, ließ er offen. Fragte nur: »Wo ist er jetzt?«
»Harri?«
»Mh.«
»Arbeiten.« Graber war unwirsch und offensichtlich entschlossen, sich jedes Wort aus der Nase ziehen zu lassen.
»Wo?«
»Kennst du nicht.«
»Das lass mal meine Sorge sein. Name, Adresse?«
»Manthey. Zum Hochland Ecke...«
Pieplow winkte entnervt ab. »Ich weiß, wo das ist.« Er hatte genug von Grabers Geschnauze und ging grußlos zum Auto.
»Wenn du ihn vernimmst, ohne
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