Engelstrompeten: Ein Hiddensee-Krimi (German Edition)
dass wir dabei sind, gibt’s Ärger, Pieplow!«, brüllte Graber hinter ihm her.
Pieplow drehte sich nicht um. Hob nur die Hand zum Zeichen, dass er gehört hatte und tun würde, was er für richtig hielt.
Nirgendwo stand, dass ein Dreizehnjähriger nicht ohne elterliche Erlaubnis mit der Polizei reden durfte. Und schon gar nicht, dass ein verdächtiger Vater es ihm verbieten konnte.
Kästner wartete schon. Weniger auf Pieplow und seinen Bericht als auf den Streifenwagen.
»Wenn ich schon Bereitschaftsdienst schiebe, will ich wenigstens gegessen haben, wenn’s losgeht.« Das klang schwer nach Reeperbahn und Davidswache, und Pieplow staunte wieder einmal über die Selbstverständlichkeit, mit der Kästner Großstadtreviersätze produzieren konnte. Hier wenigstens ging nach dem Abendbrot selten was los. Das stand, wenn es nach Kästner ging, spätestens um sechs auf dem Tisch, und was an Polizeieinsätzen dann noch kam, spielte sich im Fernseher ab. Meistens wenigstens.
Nichtsdestotrotz musste griffbereit sein, was Kästner jetzt zusammenlegte. Koppel, Holster, Pistole, Reizgas, Handschellen.
»Na prima«, kommentierte er Pieplows Bericht. »Unfall ohne Zeugen. Keine Hinweise auf eine Straftat und der einzige Denunzierte ist zwar nicht nett, hat aber ein Alibi und einen missratenen Sohn, dem wir, wenn du nichts dagegen hast, morgen mal auf den Zahn fühlen werden. Ihm und den anderen Flitzpiepen.«
Eine Zusammenfassung wie ein Leipziger Allerlei, zu der Pieplow nichts sagte. Auch nichts über das Gefühl, das ihn beschäftigte. Das schon den ganzen Tagen mitschwang wie ein misslicher Ton. Die Sorge, er könnte etwas übersehen, oder nicht ernst genug nehmen. Genau wie alle anderen, die sich mit Wandas Tod befassten.
»Was ist, soll ich dich nach Hause fahren?«, riss Kästner ihn aus seinen Gedanken.
»Nee, lass mal. Ich muss noch einholen. In meinem Kühlschrank ist Ebbe.«
Das waren Sorgen, die Kästner nicht hatte, der es sich als persönlichen Verdienst anrechnete, eine Frau gefunden zu haben, die mit beiden Beinen im Leben stand, es mit ihm, dem mecklenburgischen Bollerkopf, aushielt und tatsächlich jeden Tag kurz vor sechs das Essen bereithielt. Und natürlich einen vollen Kühlschrank.
Sie verließen die Wache gemeinsam. Traten im Rathausflur, den sich Polizei und Kurverwaltung teilten, beiseite, um eine Urlauberfamilie vorbeizulassen und zogen dann jeder seines Weges. Kästner in sein wohlgeordnetes Zuhause ganz im Süden der Insel. Pieplow an der Mühle vorbei hinaus auf den Seedeich.
Den ganzen Tag war ein leichter Wind gegangen und hatte kleine, kribbelige Wellen gemacht. Jetzt legte er sich und ließ die See in Ruhe. Was man von den Kindern am Wassersaum nicht sagen konnte. Sie tobten und kreischten unter den sonnenmüden Blicken der Eltern, schaufelten sich gegenseitig Wasser mit bloßen Händen über Kopf und Körper und schoben im Laufen glitzernde Bugwellen vor sich her.
Pieplow seufzte. So viel Lebensfreude. Schön.
Er wollte sich diese Stimmung bewahren. Wenigstens für kurze Zeit, bis ihn das Düstere wieder anflog, das über den letzten beiden Tagen gelegen hatte wie ein graues stickiges Tuch.
Sein Blick folgte den Schiffen am Horizont, bis sie hinter der grünen Kuppe des Hochlands seewärts davonzogen. Er hörte im Sanddorngestrüpp unter den Nadelschirmen der Windflüchter die letzten Abendgesänge der Sprosser und sah Graureiher im eleganten Gleitflug auf den Boddenwiesen landen.
Als er kurz vor Feierabend den Insel-Markt betrat, fühlte er sich tatsächlich fast unbeschwert.
Das änderte sich schlagartig, weil Gudrun, die Hände in ratlosem Schrecken an die Wangen gelegt, in den Gang vor ihrer Kasse starrte.
»Jetzt ist aber Schluss!«, rief dort jemand. Mutig und laut, aber vergeblich.
Der dumpfe nasse Knall, mit dem etwas auf dem Boden zerschellte, ließ auf eine Flasche schließen.
»Schnauze!«, keifte eine Frauenstimme.
»Wir rufen die Polizei!«, warnte Heiko, der Lehrling. Er hielt sich tapfer, wenn auch in sicherer Entfernung, das sah Pieplow, als er mit zwei großen Sätzen zwischen die Regale sprang.
»Mach doch, du Arsch!« Die Frau sah fürchterlich aus. Rotes struppiges Haar über einem Gesicht mit breit verschmiertem Lippenstift. Zu einem dünnen Rock eine noch durchsichtigere Bluse. Zerdrückt und zerknittert, als habe sie darin geschlafen. Um den Hals ein halbes Dutzend Ketten, deren Gewicht den Stoff zwischen ihren Brüsten flachdrückte. Silber,
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