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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
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es war zu bemerken, dass der Baron darüber nicht erregter wu rde, im Gegenteil, die scharfe Falte zwischen den Brauen schien sich langsam zu entspannen. Er ging dann nachdenklich hinaus, als spräche er vor sich hin: „Ich will selbst mal nach dem Rechten sehen.“
    Draußen auf dem Flur traf er mit Tess zusammen. Er hielt sie auf und forschte eine Weile stumm in ihren Zügen. Sie sah nicht aus, als ob sie sich einer schlimmen Tat bewusst wäre. Selbst das peinliche Gericht seiner Augen vermochte nicht ihr die fröhliche Gelassenheit zu rauben. Freilich, das war nichts Neues, dass die ‘‘Jugend von heute’’ anders reagierte auf die elterlichen Maßnahmen, als es seinen eigenen Erinnerungen entsprach. Das war eher geeignet, ihn aufs Neue in den Harnisch zu bringen. Aber etwas im Wesen der Tochter sagte ihm doch, dass Frechheit und Empfindungslosigkeit hier nicht vorlagen. Was war es aber, was in der Seele des Mädchens vorging? Warum entfernte sie sich so weit von den Gepflogenheiten ihres Hauses? Hier kam er wieder an die Schranke, die er im Verkehr mit der heutigen Jugend so oft schon als unüberschreitbar vor sich hatte aufsteigen sehen.
    Er nötigte, schon wesentlich ruhiger , Tess in das nächste unbenutzte Zimmer einzutreten. Unaufgefordert setzte sich Tess in einen Sessel, was aber dem Vater nicht unangenehm zu sein schien, denn er brauchte den wenigen freien Raum in dem Zimmer eben, um einige Male auf und abzugehen. Endlich blieb er stehen, neben Tessis Stuhl, nicht vor ihr.
    „ Marie-Therese war dir vorhin unwohl geworden?“
    Tess stutzte, zuckte leicht mit den Achseln und antwortete dann freundlich, mit gedämpfter Stimme: „Ach, Papa, es überfiel mich im Augenblick so, ich musste – für eine kurze Weile …“
    „ Was denn, Kind?“
    „ Hinausgehen, um eine kleine – Unebenheit auszugleichen.“
    Verstand der Vater jetzt? Er brach ab, ging wieder einige Ma le durch den Raum und fragte dann in einem veränderten Ton: „Hast du mit Franz unten gespielt?“
    „ Ja, das habe ich.“
    „ Warum, Marie-Therese?“ Jetzt sah er sie an.
    Tess brach der Schärfe dieses Blickes sogleich die Spitze ab, indem sie von sich aus die Gesichtszüge des Vaters studierte, aber freundlich und leichthin, so etwa, als wäre sie gefragt worden, ob sein Bart die richtige Länge habe.
    „ Fränzel ist ein echter Junge“, sagte sie endlich, „ich glaube, dass wir gut mit ihm fahren werden.“
    Das kam so unbeteiligt heraus, so sachlich kühl und doch so her zlich, dass nur Rohheit noch weiter hätte examinieren können. Wieder ging der Vater auf und ab, bis er endlich zur Hauptfrage durchfand: „Hast du die Tanten begrüßt?“
    „ Ich habe es versucht, aber man legte scheinbar keinen Wert auf meinen Gruß.“
    „ Hast du sie durch irgendetwas gekränkt, Marie-Therese?“
    „ Höchstens durch mein Wesen, das dem Ihrigen freilich wenig verwandt zu sein scheint.“
    „ Du hast dich in deinem Spiel nicht stören lassen?“
    „ Nein, weil ich sie nicht sofort sah.“
    „ Du wusstest nicht, dass meine Schwestern in diesem Punkt – ich meine – hm – besonders empfindlich sind?“
    „ Eine Empfindlichkeit, die naturwidrig ist, achte ich nicht so hoch, dass ich um ihretwillen meinem Tun Beschränkungen auferlegte, selbst wenn es ganz in meiner Macht stände“
    Der Baron fuhr auf. „Das ist frech, Marie-Therese! Immerhin sind es unsere Gäste.“
    „Ich opfere den Gästen gerne alles, was ich habe; aber das, was ich bin, im Innersten, kann ich nicht von mir lostrennen und vor sie hinwerfen.“
    Der Vater brummte ärgerlich: „Du bist ein junges Ding und sie – stehen schon an der Schwelle des Greisenalters. Kennst du denn gar keine Ehrfurcht mehr?“
    „ Ehrfurcht? Ja, wenn sie verdient ist. Ich kann das Alter aber nicht achten, nur darum, weil es eben alt ist.“
    Dieses Wort brachte den Baron vollends in Wut. „Wie kommst du dazu, den Wert meiner Schwestern abzuschätzen.“ Er nahm einen Ton an wie auf dem Kasernenhof.
    Tess schwieg und sah zur Seite, als ob sie auf den Dielen einen Ausweg aus diesem Irrgarten suchte. Es gab keinen, also beschied sie sich und ließ den Zorn des Vaters, der noch eine Weile Funken sprühte, ruhig über sich ergehen. Zwischendurch hörte sie Stimmen hinter der Türe – das war ihre Mutter, die ihr zu Hilfe kam. Eine Weile noch schien die Gute draußen zu lauschen, dann, als der Vater ein besonders böses Wort brauchte, trat sie schnell ein und fuhr ihn über den

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