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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
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eigentlich nur für den Vater so herausgeputzt hatte. Im Herzen durfte man ihm dann ganz respektlos innige Namen geben. In Gedanken musste sie darüber lächeln, er war so recht eigentlich ihre heimliche Liebe.
    Draußen im Vorsaal gab es in diesem Augenblick einige Unruhe, irgendein Gast von Bedeutung schien eingetreten zu sein, dem die Dienerschaft besondere Ehrfurcht erwies. Tess lauschte und erschrak; das war’s, was die Mutter angedeutet hatte: „Es kommt heute jemand, auf den unser Vater besondere Hoffnungen setzt, nimm alle deine Kräfte zusammen!“
    Der Gast wurde hereingeführt und von dem Herrn des Hauses sogleich mit einer Auszeichnung begrüßt, die jedem Einzelnen die Pflicht, sich ganz eckig zusammenzureißen in die Seele hämmerte. Eine Atmosphäre von Hochachtung und steifer Feierlichkeit erfüllte den Raum, als der Herr des Hauses den neuen Gast selbst vorstellte: „Herr Graf Eberhard von R-S, Oberleutnant im 10. Reiterregiment.“
    Tess hatte eine Weile Gelegenheit, den exzellenten Gast aus einiger Ferne zu mustern, ehe er von ihren Eltern freigelassen wurde. Sogleich regte sich ihr kritischer Sinn; das also ist der berühmte Nachkomme Friedrich Barbarossas, um den sich bereits ein kleiner Kranz von Legenden gewoben hat? Na, die Hohen Staufer denke ich mir aber doch ein bisschen höher in der Stirne.
    „ Er ist ein ganz überwältigender Reiter“, hauchte der Bruder ihr, in Respekt ersterbend, ins Ohr. „Er kommt oft Tag und Nacht nicht aus dem Sattel.“
    „ Man sieht es seinen Beinen ein wenig an“, hauchte Tess zurück. Um ihre Mundwinkel zuckte es leise.
    „ Wie geschaffen für seine rassigen Araber!“, raunte jemand von der anderen Seite. „Eine Gestalt, prädestiniert zu höchsten Leistungen!“
    Gut, wer sein Kapital in den Beinen hat und sich um die oberen Sto ckwerke nicht zu sorgen braucht, wollte Tess schon sagen – dachte es aber nur, denn der illustre Gast näherte sich ihr bereits in diesem Augenblick mit kleinen, umständlichen Schritten, was bei seiner Körpergröße immerhin schon eine Leistung bedeutete. Diese Begrüßung wird bald überstanden sein, dachte Tess, und dann werde ich für den Rest des Abends Luft sein für den hohen Herrn. Gott sei Dank! Was kann ich ihm schon bieten! Sie machte sich darauf gefasst, dem überschlanken Kavalier nach flüchtiger Begrüßung den Rücken zu kehren und sich schnell im Hintergrunde ein verborgenes Plätzchen zu suchen.
    Vielleicht hatte der ‘‘letzte Staufer’’ wirklich eine solche summarische Begrüßung beabsichtigt, wie das junge Mädchen sie aus seiner nachlässigen Haltung und seinen gelangweilten Blicken voraus gelesen hatte. Aber als seine Augen sich zu der Höhe der Ihrigen erhoben, ging ein merklicher Ruck durch seinen Körper, er nahm Haltung an und sammelte sich. Irgendetwas bot sich seinen Blicken anders dar, als er es sich vorgestellt hatte. Er machte ein Gesicht, als ob er ‘‘Donner – Wetter!!’’, sagen wollte.
    Da Tess ihrem Vater eben den Rücken zuwandte, ließ sie ihrem Lächeln über den etwas komischen Kavalier freien Lauf. Und er lächelte auch, aber das Lächeln der Unsicheren, der Hilfe suchenden. Nun, Tess kam ihm zu Hilfe, sie reichte ihm ziemlich formlos die Hand, die er gierig ergriff und hastiger, als es in seinem Kreisen üblich war, an die Lippen zog. Darüber fasste er sich, als ob er sich Mut aus der Hand dieses prachtvollen Mädchens gezogen hätte; er begann zu plaudern und hätte darüber wohl die Forderungen der Etikette vergessen, wenn nicht wieder das junge Mädchen für ihn gedacht und gehandelt hätte.
    Die Mutter, die das ganze Intermezzo mit scharfen Augen verfolgt hatte, drückte ihr im Vorübergehen innig die Hand. „Bist mein braves Mädchen!“, raunte sie ihr zu und mit schnellem Entschluss winkte sie dem Haushofmeister, der im letzten Augenblick noch einige kleine Änderungen in der Tafelordnung vornehmen musste, sodass Tess zu ihrem größten Erstaunen auf einmal ihren Platz neben dem des berühmten Gastes fand. Ihre Augen wurden ganz dunkel vor Entsetzen, sie schämte sich aber sogleich dieses Gefühls, als sie sah, dass ihr Vater dort drüben lächelte. Seit Jahren hatte ihn niemand mehr lächeln sehen, es musste etwas Außerordentliches geschehen sein, und gleich wusste sie – als hätte es ihr die Mutter zugerufen – was dieses Wunder bewirkt hatte. Lieber Vater, ich will dir dieses Opfer heute bringen, schwor sie sich, rafft alle Kraft zusammen und setzte

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