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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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nachzuschauen?« fragte ich, obwohl ich wußte, daß er seit seiner Ankunft nur in seinem Zimmer gewesen war.
    »No need«, antwortete er, und Mademoiselle übersetzte genauso kurz: »Pas besoin.«
    Ich hatte Mademoiselle, seit sie in unserem Haus war, schon ganz gut kennengelernt, und so sah ich jetzt am Glanz ihrer schmalen grauen Augen, daß der Engländer ihr Interesse geweckt hatte. Natürlich wußte sie sich zu beherrschen, eine Selbstverständlichkeit für eine erstklassige Gouvernante, die gewöhnt ist, in den besten Häusern Europas zu arbeiten (bevor sie zu uns kam, hatte sie den Sohn des portugiesischenKönigs erzogen und aus Lissabon die besten Reverenzen mitgebracht), doch mitunter schlug ihr gallisches Temperament durch, und wenn jemand sie entzückte, amüsierte oder verärgerte, sprühten ihre Augen Funken. Als Bedienstete hätte ich eine Person mit einer so gefährlichen Eigenart nicht eingestellt, denn diese Funken bestätigten das Sprichwort: Stille Wasser sind tief. Doch Erzieher und Gouvernanten fielen nicht in mein Ressort, darum kümmerte sich der Oberhofmeister Fürst Metlizki, und so konnte ich mich an den erwähnten Fünkchen unbeschwert freuen.
    Auch jetzt begnügte sich Mademoiselle nicht mit der bescheidenen Dolmetscherrolle, sondern fragte (zuerst auf englisch, dann für mich auf französisch): »Woher wissen Sie denn, daß mit den Sachen alles in Ordnung ist?«
    Da gab Mr. Freyby zum erstenmal einen längeren Satz von sich: »Ich sehe, daß Monsieur Sjukin seine Sache versteht. Und in Berlin hat ein Mann gepackt, der auch seine Sache versteht.«
    Wie um sich für die Anstrengung einer so ausschweifenden Rede zu belohnen, holte er seine Pfeife hervor und rauchte sie an, nachdem er mit einer Geste die Dame um Erlaubnis gebeten hatte.
    Ich begriff, daß ich es mit einem außergewöhnlichen Haushofmeister zu tun hatte, wie ich in meiner dreißigjährigen Dienstzeit noch keinem begegnet war.
     
    In der siebenten Stunde verkündete Großfürstin Xenia, daß sie sich im Hause langweile, und wir – Ihre Hoheit, Großfürst Michail, Mademoiselle Déclic und ich – machten eine Ausfahrt. Ich ordnete an, eine geschlossene Kutsche zu nehmen, denn es war ein trüber, windiger Tag, und am Nachmittag hatte es auch noch angefangen zu nieseln.
    Wir fuhren auf der breiten Chaussee einen Hügel hinauf, Sperlingsberge genannt, um uns Moskau von oben anzuschauen, aber durch den grauen Regenschleier sahen wir nicht viel: den weiten Halbkreis der Ebene, über der niedrige Wolken waberten – wie eine Suppenschüssel mit dampfender Bouillon.
    Als wir zurückfuhren, hellte sich der Himmel etwas auf. Darum entließen wir am Kalugaer Tor die Kutsche und gingen zu Fuß durch den Park.
    Ihre Hoheiten gingen voraus, wobei Großfürstin Xenia ihren Bruder an der Hand führte, damit er nicht in die nassen Büsche lief. Mademoiselle und ich folgten mit einigem Abstand.
    Seit drei Monaten passierten Seiner Hoheit keine kleinen Malheurs mehr, der Junge war gerade vier geworden, und in diesem Alter gingen die Georgi-Söhne aus der Obhut einer englischen nanny in die einer französischen Gouvernante über, sie trugen keine Mädchenkleider mehr, sondern Höschen. Der Wechsel der Kleidung machte Seiner Hoheit Freude, und mit der Französin verstand er sich ausgezeichnet. Ich muß zugeben, daß ich anfangs die Manieren von Mademoiselle Déclic allzu frei fand, zum Beispiel Ermunterungen in Form von Küssen und Bestrafungen in Form von Klapsen, und dann das Herumtoben im Kinderzimmer, doch mit der Zeit begriff ich, daß dahinter eine pädagogische Methode steckte. Jedenfalls begann Seine Hoheit bereits nach einem Monat französisch zu plappern, trällerte Liedchen in dieser Sprache und wurde überhaupt viel fröhlicher und unbefangener.
    Vor einiger Zeit wurde mir bewußt, daß ich öfter als früher ins Kinderzimmer schaute, wahrscheinlich auch öfter als notwendig.Diese Entdeckung machte mich nachdenklich, und da ich aus Prinzip immer und in allem ehrlich mit mir selbst bin, fand ich rasch den Grund heraus: Der Umgang mit Mademoiselle Déclic bereitete mir Vergnügen.
    Alles, was Vergnügen bereitet, behandle ich seit langem mit äußerster Vorsicht, denn jedes Vergnügen lenkt ab, und vom Abgelenktsein ist es nur ein Schritt bis zur Unachtsamkeit und zu schwerwiegenden, womöglich nicht wiedergutzumachenden Versäumnissen in der Arbeit. Darum ließ ich mich eine Zeit lang nicht mehr im Kinderzimmer sehen (es sei denn,

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