Entführung des Großfürsten
Göttlichen Vorsehung, die dieses geheiligte Symbol der Zarenmacht für Rußland bewahrt hat.«
Die Stimme des Zaren bebte, und er machte eine Pause, um der überströmenden Gefühle Herr zu werden. Ihre Majestät schlug das Kreuzeszeichen, und der Zar folgte unverzüglich ihrem Beispiel und verneigte sich außerdem vor dem Heiligenbild in der Ecke.
Sonst bekreuzigte sich niemand von den Anwesenden. Ich auch nicht.
Die allerhöchste Audienz wurde mir im großen Salon der Eremitage gewährt. An dem Festakt nahmen nur die in die Umstände des Dramas Eingeweihten teil – die Mitglieder der kaiserlichen Familie, Oberst Karnowitsch und Leutnant Endlung.
Alle trugen Trauerbinden am Ärmel – heute war verkündet worden, daß Seine Hoheit Michail Georgijewitsch in einem Schloß außerhalb der Stadt unverhofft an den Masernverstorben sei. Da bekannt war, daß alle jüngeren Kinder des Großfürsten Georgi mit dieser gefährlichen Krankheit infiziert waren, klang die Mitteilung glaubwürdig, obwohl bereits einige dunkle, phantastische Gerüchte im Umlauf waren. Doch die Wahrheit war so absurd, daß keiner sie glaubte.
Großfürstin Xenia und Großfürst Pawel standen mit verweinten Augen, ihr Vater, Großfürst Georgi, jedoch bewahrte die Fassung. Großfürst Kirill wirkte unerschütterlich – nach seiner Meinung hätte die üble Geschichte wohl noch katastrophaler enden können. Großfürst Simeon führte das parfümierte Taschentuch immer wieder an die geröteten Augen, aber ich argwöhne, daß er weniger um seinen kleinen Neffen trauerte als vielmehr um einen Engländer mit strohgelbem Haar.
Als der Zar seine Stimme wieder in der Gewalt hatte, fuhr er fort: »Doch es wäre ungerecht, dem Allerhöchsten zu danken, ohne dem Mann Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, den der Herr zu seinem trefflichen Werkzeug erwählt hat – unserem treuen Hoffourier Afanassi Sjukin. Vielwerter Afanassi Stepanowitsch, Wir sind Ihnen für Ihre Pflichttreue und Ihre Ergebenheit gegenüber dem Kaiserhaus für immer verbunden.«
»Ja, lieber Afanassi, wir sind mit Ihnen wohlzufrieden«, sagte die Zarin, die wie üblich Schwierigkeiten mit den komplizierten russischen Wörtern hatte, und lächelte majestätisch.
Mir fiel auf, daß sie ungeachtet der Trauer das kleine Brillantbouquet trug, dessen Tropfen auf ihrer Brust in allen Farben funkelten.
»Treten Sie näher, Afanassi Stepanowitsch«, sagte der Zarmit feierlicher Stimme. »Sie sollen eines wissen: Die Romanows verstehen selbstlosen Dienst zu würdigen und zu belohnen.«
Ich trat drei Schritte vor, neigte ehrerbietig den Kopf und heftete den Blick auf die lackglänzenden Stiefel Seiner Majestät.
»Zum erstenmal in der Geschichte des kaiserlichen Hofes verletzen Wir das altehrwürdige Reglement und verleihen Ihnen den hohen Titel des Kammerfouriers, womit Sie fürderhin der gesamten Dienerschaft des Hofes vorstehen werden«, erklärte der Zar.
Ich verneigte mich noch tiefer. Gestern noch wäre mir bei solcher Beförderung schwindlig geworden, und ich hätte mich für den glücklichsten aller Sterblichen gehalten, aber meine Gefühle waren abgestorben, und die frohe Botschaft ließ mich kalt.
Der Strom höchster Gnaden war jedoch noch nicht versiegt.
»Als Gegengabe für den Inhalt einer gewissen Schatulle, die dank Ihnen zu der Zarin zurückgekehrt ist«, mir schien, daß hier in der Stimme des Zaren ein verschmitzter Ton mitschwang, »überreichen Wir Ihnen eine brillantenbesetzte Tabaksdose mit Unserem Monogramm und eine Gratifikation aus Unserem persönlichen Fonds – in Höhe von zehntausend Rubeln.«
Ich verneigte mich wieder.
»Meinen ergebensten Dank, Euer kaiserliche Majestät.«
Damit war die Zeremonie der Auszeichnung beendet, und ich trat hinter die Mitglieder der kaiserlichen Familie zurück. Endlung zwinkerte mir verstohlen zu und setzte ein respektvolles Gesicht auf, als wollte er sagen: Mit einer so wichtigenPerson kann ich nicht mehr mithalten. Ich wollte ihm zulächeln, doch es mißlang.
Der Zar wandte sich nun an die Mitglieder des Grünen Hauses.
»Armer kleiner Mika«, sagte er und bewegte gramvoll die Brauen. »Ein lichtes Lamm, bösartig getötet von widerwärtigen Verbrechern. Wir trauern gemeinsam mit dir, Onkel Georgie. Aber ohne einen Moment unsere verwandtschaftlichen Gefühle zu vergessen, wollen wir auch dessen eingedenk sein, daß wir keine gewöhnlichen Menschen sind, sondern Mitglieder der kaiserlichen Familie, und für uns steht die
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