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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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auf Sie. Bringen Sie gefälligst Ihr Äußeres in Ordnung und kommen Sie unverzüglich in den großen Salon. Und Sie, gnädiges Fräulein, auch.«
    Fandorin und Mademoiselle entfernten sich, Karnowitsch musterte mich von Kopf bis Fuß und schüttelte verächtlich den Kopf.
    »Sie sehen ja nett aus, Sjukin. Wo haben Sie gesteckt? Was führt Fandorin im Schilde? Übrigens trifft es sich gut, daß er Sie zu seinem Vertrauten gemacht hat. Reden Sie schon, wir beide unterstehen doch der gleichen Behörde.«
    »Ich weiß nichts, Euer Hochwohlgeboren«, log ich und wußte selbst nicht warum. »Wir haben nur unnütz Zeit vertrödelt. Wer wartet Seiner Majestät und den Hoheiten auf?«
    »Der Kammerdiener des Zaren und der Haushofmeister des Generalgouverneurs.«
    Ach, wie peinlich!
    Nie zuvor hatte ich mich mit solcher Geschwindigkeit gewaschen und umgezogen. Schon zehn Minuten später betrat ich leise den Salon und dankte mit einer Verbeugung Foma Anikejewitsch und Dormidont.
    Auf dem Tisch waren keine Getränke, kein Imbiß, nur Aschenbecher und außerdem eine geöffnete kleine braune Papiertüte. Ich nahm vom Beistelltisch das Tablett mit den Weingläsern und begann sie auf dem Tisch zu verteilen, dabei betrachtete ich verstohlen die Gesichter der Anwesenden und versuchte zu erraten, was geschehen war.
    Der Zar rauchte nervös eine Papirossa. Großfürst Kirill rieb sich müde die Lider. Der Generalgouverneur trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Großfürst Georgi blickte starr auf die Tüte. Großfürst Pawel sah krank aus – seine Lippen zitterten, in den Augen standen Tränen. Doch am meisten erschreckte mich Mademoiselle Déclic: Sie saß, die Hände vors Gesicht gepreßt, mit bebenden Schultern, unter ihren Fingern drang krampfhaftes Schluchzen hervor. Noch nie hatte ich sie so weinen sehen.
    Der Polizeipräsident saß abseits, neben dem leidenschaftslosen Karnowitsch, und rieb sich unentwegt mit einem Taschentuch Stirn und Glatze. Plötzlich bekam er den Schluckauf. Er lief puterrot an und murmelte: »Ich bitte um Verzeihung.«
    Wonach er erneut hickste. In der absoluten Stille war der unanständige Laut deutlich zu hören.
    Mir wurde angst und bange, so sehr, daß ich taumelte. Herrgott, sollte …?
    »Darf ich einen Blick darauf werfen?« unterbrach Fandorin das Schweigen.
    Offenbar hatte er kurz vor mir den Salon betreten. Er trug einen strengen englischen Gehrock und hatte es sogar geschafft, eine Krawatte umzubinden.
    Worauf wollte er einen Blick werfen? Auf den neuesten Brief von Lind?
    »Ja«, sagte finster Großfürst Kirill, der anscheinend aus Gewohnheit den Vorsitz übernommen hatte. »Sehen Sie sich’s an.«
    Fandorin zog eine kleine Rolle aus der Tüte, von der Größe eines Bonbons, und wickelte sie auf. Ich sah etwas Weiß-Rosafarbenes. Der Detektiv entnahm seiner Innentasche rasch eine Lupe und beugte sich über den Tisch. Sein Gesicht sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
    »Ist das w-wirklich ein Finger Seiner Hoheit?«
    Das Silbertablett entfiel meinen Händen, die Gläser zersplitterten. Alle drehten sich zu mir um, doch ich entschuldigte mich nicht einmal, ich konnte mich gerade noch an der Tischkante festhalten, sonst wäre ich gestürzt.
    »Was für eine dämliche Frage!« knurrte Großfürst Simeon wütend. »Natürlich ist das Mikas kleiner Finger! Wessen denn sonst?«
    Lautlos trat Foma Anikejewitsch zu mir und stützte mich am Ellbogen. Ich dankte ihm mit einem Nicken – ist gleich vorbei.
    »Hören Sie, was in dem Brief steht«, sagte Großfürst Kirill, und ich sah erst jetzt, daß vor ihm ein Blatt Papier lag.
    Er setzte den Kneifer auf und las den Brief vor, der wieder auf französisch geschrieben war:
     
    Meine Herren, Sie haben anscheinend noch immer nicht begriffen, daß ich nicht scherze.
    Ich hoffe, diese kleine Sendung wird Sie vom Ernst meiner Absichten überzeugen. Der abgeschnittene Finger ist die Strafe dafür, daß Ihre Leute erneut die Abmachung gebrochen haben. Sollte sich das unehrliche Spiel wiederholen, wird dem Jungen das nächste Mal ein Ohr abgeschnitten.
    Jetzt zum Geschäftlichen. Als nächste Ratenzahlung erwarte ich von Ihnen das kleine Brillantbouquet mit dem Spinell aus der Kollektion der Zarin. Die Gouvernante hat sich zur Messe in der Erlöserkirche einzufinden, ab drei Uhr nachmittags. Selbstverständlich allein.
    Im Falle von Nachstellungen haben Sie sich die Folgen selbst zuzuschreiben.
    Aufrichtig Ihr
    Doktor Lind
     
    Am meisten

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