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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Herrschaft Tee. Vater und Sohn saßen noch lange beisammen, und es wurden nicht wenig Tränen vergossen, besonders vom Großfürsten Pawel, aber auch Großfürst Georgi wischte sich immer wieder mit dem Ärmelaufschlag die fleischigen Wangen, und was mich angeht, so war ich ganz aufgelöst. Zweimal mußte ich hastig den Salon verlassen, um die Hoheiten mit meinem verheulten Gesicht nicht noch mehr zu betrüben.
    In der vierten Stunde, ich konnte mich vor Müdigkeit und nach den Aufregungen kaum noch auf den Beinen halten, trottete ich über den Korridor zu meinem Zimmer, da sah ich vor Fandorins Tür Herrn Masa in höchst seltsamer Haltung. Er saß im Schneidersitz auf dem Boden und döste.
    Ich blieb erstaunt stehen und hörte plötzlich aus dem Zimmer unterdrücktes Schluchzen.
    »Warum sitzen Sie hier draußen?« fragte ich. »Wer ist da drin bei Herrn Fandorin?«
    Ein schrecklicher Verdacht ließ mich alle anderen Erschütterungen vergessen.
    »Erlauben Sie, ich muß Herrn Fandorin etwas mitteilen«, erklärte ich entschlossen und griff nach der Klinke, doch der Japaner hatte sich schon erhoben und vertrat mir den Weg.
    »Gehts nich«, sagte er und starrte mich mit seinen schwarzen Äuglein an. »Mein Herr weint. Macht sich Gewissen wegen Finger. Nicht ihn sehen daf. Sämt sich.«
    Er lügt, ich begriff sofort: Er lügt!
    Ohne ein Wort zu sagen, lief ich in die Beletage zum Zimmerder Großfürstin Xenia und klopfte. Keine Antwort. Vorsichtig öffnete ich die Tür mit dem Hauptschlüssel. Leer. Das Bett unberührt.
    Mir verschwamm alles vor den Augen. Sie war dort, allein mit dem Herzensbrecher!
    Lieber Gott, lehre und erleuchte mich! Was für Prüfungen hast Du dem Hause Romanow auferlegt!
    Ich eilte zur Pförtnerstube, in der ich vor einer Stunde Oberst Karnowitsch untergebracht hatte, nachdem ich das Telephon aus der Diele dorthin hatte verlegen lassen.
    Der Chef der Hofpolizei öffnete mir im Nachthemd und ohne seine obligate dunkle Brille. Er hatte kleine, stechende Augen mit roten Lidern.
    »Was gibt’s, Sjukin?« Er blinzelte. »Haben Sie sich doch noch entschlossen, zu erzählen, was Ihr Freund im Schilde führt?«
    »Ihre Hoheit verbringt die Nacht im Zimmer von Herrn Fandorin«, meldete ich flüsternd. »Ich habe ihr Weinen gehört. Und ich fürchte … daß sie aus eigenem Antrieb hingegangen ist.«
    Karnowitsch gähnte enttäuscht.
    »Das ist natürlich sehr pikant, und als Leiter der Hofpolizei muß ich wissen, mit wem die Mädchen der kaiserlichen Familie die Nächte verbringen, aber das hätten Sie mir auch noch morgen früh mitteilen können, Sjukin. Stellen Sie sich vor, ich habe mich hingelegt, um ein bißchen Schlaf zu bekommen.«
    »Aber Ihre Hoheit hat einen Bräutigam, Prinz Olaf! Und außerdem, sie ist – Jungfrau! Herr Oberst, vielleicht ist es noch nicht zu spät, das Schlimmste zu verhindern!«
    »Das fehlte noch!« Er gähnte wieder. »Es steht nicht dafür,sich in die Herzensangelegenheiten von Großfürstinnen einzumischen. Solche Taktlosigkeiten werden unsereinem nicht verziehen. Und was die Jungfernschaft angeht, so ist die wohl längst passé.« Karnowitsch verzog den Mund zu einem Grinsen. »Vom Weinen zum Trösten ist es bekanntlich ein kurzer Weg. Und Ihr Freund Fandorin hat den Ruf eines Schwerenöters. Halb so schlimm, dem Prinzen geht nichts verloren. Schließlich will er keine Jungfrau heiraten, sondern das Haus Romanow. Unschuld – lächerlich. Aber nicht lächerlich sind die Extravaganzen Fandorins. Die eigenmächtigen Aktionen unseres Pinkerton machen mir Kopfzerbrechen. Wenn Sie mir helfen wollen, und damit auch dem Zaren, dann erzählen Sie mir alles, was Sie wissen.«
    Und da erzählte ich – von Chitrowka, von Stumpf und von der morgigen Zusammenkunft der Banditen.
    »Blödsinn«, resümierte Karnowitsch, als er mich bis zu Ende angehört hatte. »Kompletter Blödsinn. Wie ich vermutet hatte.«
     
    An Schlaf war nicht zu denken. Ich ging im Korridor der Beletage auf und ab und rang die Hände. Einerseits fürchtete ich, mit meinem Getrampel den Großfürsten Georgi zu wecken, andererseits wünschte ich es insgeheim. Er würde mich fragen, was ich zu so später Stunde hier tat und warum ich so verstört aussah, und ich würde Seiner Hoheit alles erzählen.
    Aber diese Hoffnung war kleinmütig und unwürdig. Nach allem, was der Großfürst heute durchgemacht hatte, durfte ich ihm nicht auch noch diese Last aufbürden. Darum ging ich nicht länger auf und ab, sondern

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