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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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strengte meine Augen an und sah, daß von der Straße eine Einfahrt zu einem Tor abzweigte, das bedeutend tiefer gelegen war. Dort stand, mit dem Rücken zum Tor, ein Bursche mit genauso einer Schirmmütze, wie Fandorin sie trug, und knabberte Sonnenblumenkerne.
    »Der Posten?« erriet ich.
    »Ja. Wir müssen warten.«
    Ich weiß nicht, wie lange wir warteten, denn mein Chronometer war in der Livree geblieben (noch ein Verlust: die silberne Breguet-Uhr, die ich als Auszeichnung bekommen hatte, um sie tat es mir am meisten leid), aber bestimmt mehr als zwei Stunden, und ich war schon am Eindösen.
    Plötzlich hörte, nein, fühlte ich, wie sich Fandorin von Kopf bis Fuß spannte, und meine Müdigkeit war wie weggeblasen.
    Von unten drangen gedämpfte Stimmen herauf.
    »Ahle«, sagte einer.
    »Hülse«, erwiderte ein anderer. »Geh rein. Mit Schrieb?«
    Die Antwort auf diese unverständliche Frage hörte ich nicht. Die kleine Tür, die in das Tor eingelassen war, öffnete und schloß sich, und wieder war es still. Der Posten steckte sich eine Selbstgedrehte an, der Lackschirm seiner Mütze glänzte im Mondlicht.
    »So, jetzt geh ich«, flüsterte Fandorin. »Wartet hier. Wenn ich winke, kommt ihr runter.«
    Nach ungefähr zehn Minuten näherte sich mit schaukelndem Gang eine schmale Gestalt dem Haus. Sie warf einen Blick über die Schulter und lief federnd auf den Posten zu.
    »Tag, pani Moskau. Bewachst du die Wand?«
    Das war natürlich Fandorin, aber er sprach plötzlich mit polnischem Akzent.
    »Mach die Flocke«, antwortete der andere feindselig und steckte die Hand in die Tasche. »Oder soll ich dir mit dem Pieker den Wanst kitzeln?«
    »Wieso mit dem Pieker?« lachte Fandorin. »Dafür gibt’s die Ahle. Ahle, kapiert?«
    »Hättest du gleich sagen sollen«, knurrte der Posten und nahm die Hand aus der Tasche. »Hülse. Von wem kommst du, Polack? Gehörst du zu den Warschauern?«
    »Richtig. Muß ich zu Stumpf.«
    »Der ist nicht da. Kommt heute auch nicht mehr. Morgen, hat er gesagt, gegen Nacht.« Der Bandit senkte die Stimme (doch in der Stille war alles zu hören) und fragte neugierig: »Ich hab gehört, die Greifer haben euern Chef erledigt?«
    »Stimmt.« Fandorin seufzte. »Narbe und noch drei Jungs. Wo ist Stumpf? Muß was mit ihm bekaspern.«
    »Er meldet sich nich bei mir ab. Du weißt doch selber,Polack, was jetzt hier fürn Zirkus abläuft. Er wetzt irgendwo rum, hat seit früh nich die Nase reingesteckt. Aber morgen kommt er, ganz sicher. Hat alle zur Versammlung bestellt … Wie viele von euch Warschauern sind noch übrig?«
    »Drei.« Fandorin winkte ab. »Der krumme Wacek als Chef. Und bei euch?«
    »Mit Stumpf sieben. Weißt du, was morgen fürn Aufriß ist?«
    »Nee. Uns wird ja nix verklickert, werden wir wie Frischlinge behandelt. Wie ist dein Name? Moskau?«
    »Koda. Und deiner?«
    »Oheim. Gib Pfötchen.«
    Sie tauschten einen Händedruck, und Fandorin, sich nach allen Seiten umblickend, sagte: »Wacek hat was von nem Dochtur erzählt. Davon gehert?«
    »Nö, von nem Dochtur hab ich nischt läuten hörn. Stumpf hat was von nem großen Mann geredet. Ich sag zu ihm, was denn fürn großer Mann? Aber aus dem kriegt man nischt raus. Was soll das fürn Dochtur sein?«
    »Weiß der Henker. Wacek spinnt manchmal. Also, Stumpf ist nicht da?«
    »Wie gesagt, morgen gegen Nacht. Kannst ja reingehn, mit unsern Leuten quatschen. Aber bei uns wird nich gesoffen.«
    »Und was ist mit nem Spielchen?«
    »Auch nich. Wenn du Karten drischst, haut dir Stumpf den Eisenapfel in die Fresse. Noch nie von dem Apfel gehört?«
    »Wer hat nicht gehert davon … Nein, ich geh lieber nicht rein. Da ist es bei uns lustiger. Morgen komm ich vorbei. Gegen Nacht, sagst du?«
    Da läuteten von der deutschen Kirche, die in der Ferne undeutlich zu erkennen war, die Glocken. Ich zählte zwölf Schläge.

 
    10. Mai
    »Richte dich nach dem Trumm da«, sagte Koda und wies mit dem Kopf in Richtung Kirche. »Stumpf hat befohlen, genau um Mitternacht sollen wir da sein. Na schön, Polack, bis auf bald.«
    Fandorin ging im Schaukelgang davon, da puffte mich der Japaner in die Seite und gab mir zu verstehen, daß es Zeit war, vom Dach zu klettern.
    Wie ich, nun in völliger Dunkelheit, mich am Fallrohr hinunterließ, werde ich nicht erzählen. Daran möchte ich lieber nicht denken. Ich schürfte mir die Hände auf, zerriß mir vollends die leidgeprüfte Hose und landete schließlich auch noch in einer Pfütze, aber daß ich mir

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