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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Stumpf?« fragte ich, vor Verlangen brennend, endlich tätig zu werden.
    »Nicht so schnell, Sjukin. Wir müssen warten, bis es Nacht ist. Erst mal erzähle ich Ihnen, was ich über Stumpf weiß. Er gilt unter den Moskauer Kriminellen als rätselhafte und vielversprechende Persönlichkeit. Wie Bonaparte zu Zeiten des Direktoriums. Ihn fürchtet sogar der König, obwohl es keinen offenen Krieg zwischen beiden gibt. Stumpfs Bande ist klein, aber oho, alles ausgesuchte Leute, kein Kroppzeug, nurMacker, erprobte Kerle. Mein Mann von der Fahndung, ein anerkannter Profi, nimmt an, daß die Zukunft der russischen Verbrecherwelt solchen Anführern wie Stumpf gehört. Er duldet in seiner B-Bande keine Saufgelage und keine Prügeleien. Mit Kleinkram befassen sie sich nicht. Sie bereiten ihre Brüche und Überfälle gründlich vor und arbeiten sauber. Die Polizei hat unter Stumpfs Leuten keinen einzigen Informanten. Und ihr Versteck wird, wie ich Ihnen schon sagte, sorgfältig bewacht, nach militärischem Vorbild.«
    Das klang in meinen Ohren höchst unerfreulich.
    »Und wie kommen wir an ihn heran, wenn er so vorsichtig ist?«
    »Über die Dachböden«, antwortete Fandorin und machte ein Zeichen, ihm zu folgen.
    Eine ganze Weile gingen wir über finstere, stinkende Höfe. Schließlich blieb Fandorin vor einer fensterlosen Wand, die sich in nichts von den anderen unterschied, stehen. Er griff nach dem Fallrohr, rüttelte kräftig daran und lauschte, wie das Blech schepperte.
    »Es wird halten«, murmelte er und kletterte plötzlich rasch, ohne die geringste Anstrengung, an dieser unsicheren Konstruktion hoch.
    Masa drückte seine Melone tiefer in die Stirn und folgte dem Beispiel seines Herrn, anzusehen wie ein Jahrmarktbärchen, das gelernt hat, an einer Stange zum Zuckerhut hochzuklettern.
    Im Volke heißt es: Wer A sagt, muß auch B sagen. Ich spuckte in die Hände, wie das unser Küchenlakai Sjawkin tut, bevor er Holz hackt, bekreuzigte mich und griff nach der Eisenklammer. So, den Fuß auf den Vorsprung, dann den anderen – och!, den Reifen fassen, nun mit der anderen Hand …
    Um die Angst zu vertreiben, zählte ich meine Verluste der letzten Tage zusammen. Gestern fünfzig Rubel bei der Wette an Masa verloren, heute morgen zweieinhalb Rubel für den Kutscher und heute abend fünf, macht sieben Rubel fünfzig, und dann haben mir die »Köter« mein Portemonnaie mit fünfundvierzig Rubeln weggenommen. Dazu kommt die Paradeuniform, auch wenn sie Staatseigentum ist, aber trotzdem schade drum.
    Da sah ich zufällig nach unten und vergaß alle Verluste, denn die Erde war weiter weg, als ich vermutet hatte. Von unten hatte die Mauer nicht so hoch ausgesehen, vielleicht zwei Stockwerke, aber wenn man von oben hinunterblickte, stockte das Herz.
    Fandorin und Masa waren längst auf dem Dach, aber ich hangelte mich immer noch an dem Rohr hoch und bemühte mich, nicht mehr hinunterzusehen.
    Als ich oben angelangt war, wurde mir klar, daß ich keine Kraft mehr hatte, aufs Dach hinaufzusteigen. An die fünf Minuten hing ich da und hielt mit beiden Armen das Rohr umklammert, dann tauchte vor dem lilafarbenen Himmel ein runder Kopf mit Melone auf. Masa packte mich mit einer Hand am Kragen und zog mich ruck-zuck hinauf.
    »Danke«, sagte ich und schnappte nach Luft.
    »Nicht der Rede wert.« Er verneigte sich, wenngleich auf allen vieren.
    Wir krochen auf die andere Seite des Dachs, wo Fandorin auf dem Bauch lag.
    Ich ließ mich neben ihm nieder, denn ich wollte unbedingt wissen, wonach er Ausschau hielt.
    Das erste, was ich sah, war ein tiefroter Streifen Dämmerlicht, durchstochen von den schwarzen Nadeln derGlockentürme. Doch Fandorin betrachtete nicht den Himmel, sondern ein altes schiefes Haus mit vernagelten Fenstern auf der anderen Straßenseite. Es war bestimmt einmal ein schönes und stattliches Haus gewesen, doch inzwischen so verfallen, daß es einfacher war, es abzureißen als zu erneuern.
    »Zu Beginn des Jahrhunderts hatten die Gebrüder Möbius, Weinhändler, hier eine Niederlassung«, flüsterte Fandorin, und mir fiel auf, daß sein Stottern verschwunden war. »Da unten sind tiefe Weinkeller. Bis zu tausend Fässer Wein sollen dort gelagert worden sein. Was die Franzosen im Jahre zwölf nicht austranken, haben sie weggegossen. Damals floß angeblich ein Weinbach bis zur Jausa. Das Haus ist ausgebrannt, das Dach eingestürzt. Aber die Keller sind heil. Dort hat Stumpf seine Residenz. Sehen Sie den kräftigen Kerl?«
    Ich

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