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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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nicht Arme und Beine brach, dafür danke ich Gott dem Herrn.
    Auch als wir Chitrowka hinter uns gelassen hatten, nahm uns lange keine Droschke mit. Die Kutscher betrachteten uns, peitschten dann wortlos ihre Pferde und verschwanden in der Nacht. Ich gewann sogar den Eindruck, daß nicht Fandorin oder Masa den größten Argwohn erregte, sondern meine zerlumpte und verdreckte Gestalt.
    Endlich, schon an der Mauer von Kitaigorod, durften wir uns in eine Droschke setzen. Die ganze Fahrt über beunruhigte mich der Gedanke, Fandorin könnte sich wieder weigern, den Kutscher zu entlohnen, ich selber hatte ja kein Geld mehr.
    Aber nein, dieses Mal bezahlte er, sogar großzügiger als nötig, gleichsam für beide Fahrten.
    In meiner Aufmachung durch das Tor zu gehen, erschien mir unangebracht, und ich schlug verlegen vor, wieder über die Umfriedung zu klettern, obwohl ich an diesem Abend weiß Gott mehr als genug geklettert war.
    Fandorin jedoch, mit Blick auf die hellen Fenster der Eremitage, die durch die Bäume leuchteten, schüttelte den Kopf.
    »Nein, Sjukin, wir gehen lieber durchs Tor. Sonst sch-schießen die womöglich noch auf uns.«
    Erst jetzt wurde mir bewußt, daß diese Festbeleuchtung zu so später Stunde kein gutes Zeichen war. Am Tor standen außer dem üblichen Wächter noch zwei Männer in Zivil. Auch im Park längs der Umfriedung sah ich irgendwelche Figuren. Herren der Hofpolizei, wer sonst. Das konnte nur eins bedeuten: Mitten in der Nacht war der Zar in die Eremitage gekommen.
     
    Nach langen Erklärungen am Tor, die mit Somows Erscheinen und der demütigenden Identifizierung meiner Person endeten (unvergeßlich der Gesichtsausdruck meines Moskauer Gehilfen, als er mich so abgerissen vor sich sah), wurden wir eingelassen, und während wir auf der Allee zum Haus gingen, sah ich mehrere Equipagen. Etwas Außergewöhnliches mußte geschehen sein.
    In der Diele erwartete mich noch eine Prüfung: Ich stieß mit der Gouvernante zusammen.
    »Mon Dieu!« rief sie und klapperte mit den Augen. Vor Überraschung vergaß sie unsere Abmachung, nur russisch zu reden. »Monsieur Zyukin, qu’est-ce que s’est passé? Et qui sont ces hommes? C’est le domestique japonais?« 14
    »Ich bin’s, Mademoiselle.« Fandorin verbeugte sich. »Wir haben eine kleine Stadtbesichtigung gemacht. Aber nicht so wichtig. Erzählen Sie lieber, wie Ihr Treffen verlaufen ist. Haben Sie den Jungen gesehen?«
    Da erfuhr ich von den Umständen, unter denen Ihre Majestät der Saphirschleife verlustig gegangen war.
    »Die Gendarmen hätten nicht die Verfolgung aufnehmen dürfen«, sagte Fandorin besorgt. »Auf gar keinen Fall. Beschreiben Sie die D-Droschke.«
    Mademoiselle runzelte die Stirn und sagte: »Schwarz, staubisch, Fenster mit rideau … Am Rad acht rais … Nadel?«
    »Speichen«, soufflierte ich.
    »Oui, oui, acht Speichen. An die Tür, nein, am Wagenschlag, eine Griff aus Messing …«
    »Richtig!« rief ich. »Am Wagenschlag der Kutsche, die ich gesehen habe, war ein Messinggriff in Form eines Rings.«
    Fandorin nickte. »Dann haben sie zweimal dieselbe Droschke benutzt. Lind hält sehr viel von sich und sehr wenig von der russischen Polizei. Das ist nicht schlecht. Beschreiben Sie den Mann, der Ihnen das Ridikül abgenommen hat.«
    »Groß. Braune Augen. Etwas krumme Nas. Rötliche Bart, aber nach meine Meinung nischt escht, angeklebt. Außerdem …« Mademoiselle dachte nach. »Ah, oui! Eine Muttermal auf die linke Wange, ier.« Sie berührte mit dem Finger meine Wange, und ich zuckte zusammen.
    »Na schön, das ist ja schon was«, sagte Fandorin. »Und was geht hier vor? Ich habe vor dem H-Haus die Equipagen des Zaren und der Großfürsten gesehen.«
    »Isch weiß nischt«, sagte Mademoiselle kläglich und wechselte endgültig ins Französische. »Mir sagt keiner etwas. Allegucken mich so an, als wäre ich an allem schuld.« Sie umfaßte ihre Schultern, schluckte und fuhr beherrschter fort. »Es muß etwas Entsetzliches passiert sein. Vor einer Stunde wurde im Haus ein Päckchen abgegeben, dann liefen alle durcheinander, und die Telephone klingelten. Vor einer halben Stunde kam Seine Majestät, und eben erst die Prinzen Kirill und Simon …«
    In dem Moment blickte Karnowitsch in die Diele: die Augenbrauen gerunzelt, die Lippen zusammengepreßt.
    »Fandorin, sind Sie das?« fragte er. »Man hat mir Ihre Ankunft gemeldet. Was ist das für eine idiotische Maskerade? Spielen Sie immer noch den Gentleman-Detektiv? Alle warten

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