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Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nagte an der Unterlippe. »Sie sind der Onkel der Patientin?« fragte er Ewald Peltzner.
    »Ja. Mein Bruder war vernarrt in seine einzige Tochter. Ich habe als leitender Direktor der Werke einen Überblick gehabt und die Katastrophe kommen sehen. Ein Segen, daß Bruno das nicht mehr erlebt hat. Sie dürfen mir glauben, wie schrecklich es für mich ist, das Kind meines Bruders hier …«
    Der dickliche Ewald Peltzner schwieg und war sichtlich stark ergriffen. Er schwitzte jetzt noch mehr als anfangs, obwohl Adenkoven seiner Ansicht nach tadellos gesprochen hatte. Auch den sozialen Aspekt hatte er nicht vergessen. Im Interesse von 20.000 Arbeitnehmern …
    »Sie leiten seit dem Tode Ihres Bruders die Werke?« fragte der Professor.
    »Ja. Zusammen mit meinem Neffen, Herrn Heinrich Fellgrub.«
    Der Professor sah hinüber zu dem jungen Mann, der neben dem Nervenarzt Dr. Fritz Vrobel saß. Er hatte die Hände gefaltet und sah nicht auf. Auch ihm schienen diese Minuten eine Qual zu sein.
    Maggfeldt klappte die Akte langsam zu und sagte:
    »Wenn sich Ihre Diagnose bestätigt, Herr Kollege Vrobel, werden wir alles, was in unserer Kraft steht, tun, um …«
    Erstaunt, befremdet hob er den weißhaarigen Gelehrtenkopf. Ewald Peltzner hatte ihn unterbrochen. Er hörte ihn fragen:
    »Und wann, Herr Professor, können wir wissen, wie es … ich meine … ob es …« Ewald Peltzner schielte zu seinem Anwalt hinüber. »Es geht, wie gesagt, um 20.000 Angestellte. Solange meine Nichte nicht entmündigt ist, können die Werke nicht so frei disponieren … ich meine …«
    Ewald Peltzner hatte sich festgefahren. Dr. Adenkoven sprang ihm bei.
    »Ein Beispiel nur, es war die letzte … Tat der Kranken: Sie verschenkte eine Viertelmillion Mark an ein Waisenhaus zur Erweiterung …«
    Professor von Maggfeldt notierte sich die Summe. »Das ist doch eine sehr soziale Tat«, sagte er bedächtig, »… und im übrigen, meine Herren, darf jeder über seine Gelder verfügen, wie er Lust hat. Nicht wahr, Herr Rechtsanwalt?«
    »Aber es ist unmöglich, mitten aus einer Produktions-Neuentwicklung, in der die Peltzner-Werke stehen, eine solche Summe einfach herauszuziehen. Wenn das so weitergeht, bedeutet das den Ruin. Und Fräulein Peltzner hatte bisher die alleinige Verfügungsberechtigung über alle Konten!«
    »Wir werden Fräulein Peltzner genau beobachten und untersuchen«, sagte er. Es klang, als wolle er sagen: Und nun geht! Ihr seid mir geradezu abscheulich gesund …
    »Und … und wann«, Ewald Peltzner ließ nicht locker, »wann können wir erfahren …?«
    »In etwa sechs Wochen. Frühestens.«
    So lange, dachte Peltzner. Aber er sprach es nicht aus. Das wichtigste und schwerste Stück war ja geschafft. Hinter Gisela hatten sich die Türen der Anstalt geschlossen.
    Professor v. Maggfeldt begleitete die Herren bis zur Tür seines Zimmers. Er drückte die Hände, hörte Dankesworte und sah den Weggehenden dann nach, wie sie von einer Schwester zum Ausgang begleitet wurden.
    Über den Flur kam Oberarzt Dr. Pade mit einer neu angelegten Mappe. Noch waren die Seiten der Fragebögen leer … in wenigen Tagen würden sie ein ganzes Schicksal erfaßt haben. Einen Menschen, nackt bis auf die Knochen. Eine Seele, entkleidet von allen Geheimnissen.
    »Ich habe sie in Zimmer 3 geführt«, sagte Dr. Pade, als Professor v. Maggfeldt ihn fragend ansah.
    »Ist sie ruhig?«
    »Sie schläft. Kollege Vrobel hat sie völlig gedämpft. Sie hatte nur den einen Wunsch, Sie zu sprechen, Herr Professor. ›Ich bin gesund‹, sagte sie immer wieder.«
    Maggfeldt nickte. Fast war er versucht zu seufzen. Das alte Lied … sie alle sind ohne Grund hier, fühlen sich nicht krank, sind normal, nur ihre Umwelt ist verrückt … alle, die hier in dem weißen, schloßähnlichen Gebäude und den verstreut im Park liegenden Pavillons lebten. Eine kleine, aus den Fugen geratene Welt, bewohnt von Bestien und Stammelnden, Tobenden und Stumpfsinnigen, Lachenden und Schreienden.
    »Gehen wir zu ihr«, sagte Maggfeldt. »Ich glaube, es ist besser, wir sind bei ihr, wenn sie aufwacht. Wie sieht sie denn aus?«
    »Wie ein Engel …«
    Maggfeldt schüttelte den Kopf. »Ich sage es seit fünfundzwanzig Jahren: Unbegreiflich … und immer unbegreiflicher …«
    Als die Herren, voran Ewald Peltzner, wieder aus dem Haus kamen, waren die Insassen des zweiten Wagens ausgestiegen: Anna Fellgrub, die Tante Gisela Peltzners und Schwester ihres toten Vaters, und Monique Peltzner, die

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