Entmündigt
…«
Kurz nach Anbruch der fünften Wartestunde rollte man Budde aus dem OP. Er lag auf dem Bauch, noch in tiefer Narkose, und schnarchte. Lautlos, auf hohen Gummirädern, glitt das fahrbare Bett an dem Wartezimmer vorbei. Dr. Hartung hielt Gisela fest, die aus dem Zimmer stürzen wollte.
»Nicht jetzt …«, sagte er. »Sie sehen … er lebt … wir müssen erst den Arzt fragen …«
»Ich muß bei ihm sein, wenn er aufwacht …«
»Das werden Sie auch.« Dr. Hartung blickte zur großen Glastür. Der Chefarzt kam in den Flur. Er hatte ein gerötetes, aber hoffnungsvolles Gesicht. Hartung atmete auf. »Ich glaube, wir können an die Zukunft denken«, sagte er leise und legte den Arm um Giselas Schulter. »Der Chef lächelte …«
Drei Monate nach dem Zusammenbruch des Peltznerschen Lügengebäudes, nach seinem Geständnis und der Rehabilitierung Gisela Peltzners, nach der Verurteilung Anna und Heinrich Fellgrubs zu einem Jahr Gefängnis und dem Entzug der Zulassung der mit Peltzner befreundeten Ärzte und Rechtsanwälte, deren Verfahren noch anstand, drei Monate nach den ersten mühsamen Gehversuchen Dr. Buddes am Arm Giselas fuhr wieder eine schwarze Limousine langsam durch das sich elektrisch öffnende Tor der Maggfeldtschen Anstalt.
Wieder standen zwei Ärzte unter den Säulen des Vorbaues und traten an den Wagen heran, als er vorsichtig bremste. Oberarzt Dr. Pade öffnete die hintere Tür, Dr. Heintzke hielt sich etwas abseits.
»Bitte …«, sagte Dr. Pade mild. »Steigen Sie aus. Der Herr Professor erwartet Sie schon …«
Ein Kopf erschien an der Wagentür, ein runder, fahler, welkender Kopf. Dann schob sich ein dicklicher Körper nach, zwei flatternde Hände streckten sich Dr. Pade entgegen, er ergriff sie und zog den Mann aus dem Wagen ins Freie.
»Sie kenne ich doch auch …«, sagte der Mann. Sein rundes Gesicht war eine lächelnde Grimasse, in der die Augen hin und her zuckten. Dann klappte der Mund auf, zu einer häßlichen, großen, roten Höhle, und ein stammelndes Lachen flog Dr. Pade ins Gesicht.
»Oberarzt Dr. Pade«, sagte der Arzt. »Kommen Sie …«
»Der Professor erwartet mich?«
»Ja …«
»Aber ich bringe dieses Mal keinen Scheck mit!« Der Mann lachte wieder irr. Dann fuhr er sich mit beiden Händen über den Kopf und streichelte ihn.
»Das ist auch nicht nötig. Sie sind uns immer ein lieber Gast, Herr Peltzner …«
Ewald Peltzner nickte. Er sah an der weißen Fassade des Schlosses hinauf, blickte über den Park und streckte die Arme weit von sich.
»Ein schöner Tag!« sagte Ewald Peltzner. »Man riecht den Sommer schon. – Ist meine Tochter eingetroffen?«
Dr. Pades Gesicht verzog sich nicht. »Nein, noch nicht, Herr Peltzner.«
»Dann muß sie gleich kommen. Sie ist mit dem Flugzeug von St. Tropez unterwegs. Sie hat es mir gestern am Telefon mitgeteilt.«
»Der Herr Professor wird es Ihnen genau sagen. Er hat beste Informationen aus St. Tropez.«
»Dann kommen Sie schnell.« Peltzner hüpfte die Freitreppe hinauf. »Ein netter Mensch, der Professor. Wirklich ein netter Mensch … Monique wird sich freuen … Wissen Sie – sie ist so gern in prominenter Gesellschaft …«
Dr. Pade faßte Ewald Peltzner unter. Langsam gingen sie in das große weiße Haus. Dr. Heintzke schloß hinter ihnen die Tür. Unter dem Arm trug er die Mappe mit der Einweisungsdiagnose.
Der schwarze Wagen wendete und rollte durch das große Tor auf die Straße. Im Rückspiegel sah der Fahrer, wie das Gitter sich zuschob und einrastete.
»So schließt man eine ganze Welt ab«, sagte der Arzt, der Peltzner begleitet hatte.
»Wird er wieder herauskommen?« Der Chauffeur gab Gas. Es war ihm, als drücke ihm jemand die Luft ab.
Der Arzt hob die Schultern.
»Ich fürchte … nein …«
Dann schwieg er und sah in das frische Grün der Bäume.
Professor v. Maggfeldt kam Peltzner mit ausgestreckten Händen entgegen.
»Willkommen!« rief er, und es war kein Spott dabei, sondern eher ehrliches Mitleid. Ewald Peltzner nickte.
»Wie schön, endlich einen Freund zu finden«, sagte er fröhlich.
Dann weinte er plötzlich wie ein Kind und bekam seine erste beruhigende Injektion.
Er war ein neuer Fall geworden.
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