Entscheidung aus Liebe
Chloe wusste, dass das Mädchen noch immer aufgebracht über den Besuch ihres Onkels war, doch auch ihre Geduld hatte Grenzen. Sarah dagegen wirkte seltsam zufrieden. Sie hörte nicht auf, ihren Bären anzustarren, als ob sie etwas in seinem dunklen Knopfauge zu entdecken hoffte.
4. KAPITEL
„Wirklich, Strathmere, nun habe ich dich bereits zum dritten Mal angesprochen und keine Antwort erhalten", sagte die Duchess vorwurfsvoll. „Außerdem siehst du einfach schrecklich aus. Du wirst doch nicht etwa Fieber bekommen?"
Jareth drehte sich zu seiner Mutter um und versuchte, seine Gefühle vor ihr zu verbergen. „Ja. Ich fühle mich nicht besonders wohl." Sein Blick schweifte in die Ferne. „Ich bin nicht ganz ich selbst", sagte er sanft.
„Heute Nachmittag solltest du dir davon nichts anmerken lassen und dein Bestes geben. Ich habe die Rathfords zum Tee eingeladen. Du weißt, wie sehr ich Lady Rathford schätze. Sie besitzt tadellose Umgangsformen und solch ein angenehmes Wesen. Nun, Lord Rathford kann zuweilen recht ungehobelt sein, aber nicht mehr, als es für einen Gentleman vom Lande üblich ist." Sie verstummte kurz, bevor sie beiläufig hinzufügte: „Natürlich ist Helena überaus charmant."
An ihrem Schweigen erkannte Jareth, dass sie eine Antwort von ihm verlangte. „In der Tat, sie ist außergewöhnlich", sagte er schließlich.
„Ja", bemerkte seine Mutter mit einem höchst zufriedenen Gesichtsausdruck. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und spielte mit dem Fächer, der auf ihrem Schoß lag.
Jareth verspürte ein seltsames Gefühl, das er nicht deuten konnte. Es war ein plötzlicher Widerwillen gegen seine Mutter, eine Empfindung, die höchst ungewohnt war. Er empfand den größten Respekt für seine Mutter. Sie war die treibende Kraft, die hinter der Familie stand. Selbst als sein Vater noch gelebt hatte, hatte sie die Familie vor manchem Unglück bewahrt.
Als Jareth aufgewachsen war, hatte sie kein besonderes Interesse an ihm bekundet.
Während sie bei Charles, dem zukünftigen Duke, großen Wert auf eine strenge Erziehung gelegt hatte, war Jareth zuweilen sogar in den Genuss eines gewissen Maßes an mütterlicher Zuneigung gekommen. Charles hatte stets die Forderungen erfüllen müssen, die man von dem Erben des Titels erwartete.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass die kritischen Augen seiner Mutter nun auf ihm ruhten. Die Zeit, in der er seine Freiheit hatte genießen dürfen, war vorüber.
Ob auch Charles sich so gefühlt hatte? Hatte auch er bisweilen den Eindruck gehabt, zu ersticken - oder der erdrückenden Verantwortung nicht standhalten zu können, die ihm Generationen von Hunts hinterlassen hatten?
Auf einmal wurde er sich bewusst, dass seine Mutter mit ihm sprach, und er hatte kein Wort davon gehört.
„Entschuldige bitte, Mutter", sagte er.
Die ältere Frau sah ihn misstrauisch an. Charlotte Harrington Hunt war noch immer eine gut aussehende Frau, obgleich die Jahre ihre Züge verhärtet hatten. Dennoch hatten ihre klaren Augen nichts von ihrer Lebendigkeit eingebüßt.
„Ist es etwa diese ungehörige Miss Pesserat, die dir Sorgen bereitet?"
Jareth zuckte leicht zusammen. „Ich verstehe nicht, was du meinst."
„Ich hörte von deinem Besuch im Spielzimmer. Hat sich diese Person dir gegenüber etwa impertinent benommen?"
Er schüttelte den Kopf und fragte sich, ob sich die junge Gouvernante tatsächlich impertinent verhalten hatte. Er musste zugeben, dass sie seinen Nichten äußerst zugetan war. Und trotz ihrer törichten Ansichten waren ihre Äußerungen nicht unüberdacht. Dennoch war sie so ... verwirrend. Tatsächlich, diese Frau war imstande, ihn aus der Fassung zu bringen.
„Du darfst nicht zu nachgiebig mit den Dienstboten umgehen, Strathmere", unterbrach die Duchess seine Gedanken. „Du darfst niemals deine gesellschaftliche Stellung vergessen. Dir obliegt eine große Verantwortung, und dein Handeln muss stets wohl überlegt sein. Es war ein Fehler, dass ich dich als Kind nicht in der gleichen Weise wie deinen Bruder erzogen habe. Ich hätte daran denken müssen, dass uns zuweilen auch Tragödien nicht erspart bleiben. Man sollte auf alle Möglichkeiten vorbereitet sein. Nun bereue ich außerordentlich, dass ich dir diesen losen Lebenswandel und den Umgang mit Bürgerlichen gestattet habe."
Jareth gefiel ihre Bemerkung nicht. Unter den „Bürgerlichen", auf die sie sich bezog, war auch sein alter Partner, Colin Burke. Obwohl Colin keinen Titel aufwies,
Weitere Kostenlose Bücher