Entscheidung aus Liebe
Kindes noch tiefer als die ihrer Schwester. Chloe wusste, welche Schrecken das Mädchen quälten.
Seufzend schloss sie die Augen. Liebste Bethany, ich werde mich um sie kümmern. Ich werde dafür sorgen, dass sie ihren Schmerz vergessen. Zeige mir, wie ich ihnen helfen kann, Cousine.
Mary, ein junges Dienstmädchen, erschien an der Tür. Sie nickte, als Chloe einen Finger auf ihre Lippen legte. Schweigend hielt Mary einen Brief in die Höhe.
„Danke", flüsterte Chloe und ergriff den Brief. Dann verließ sie mit Mary das Schlafzimmer der Mädchen und ging durch das Spielzimmer in ihre eigene kleine Kammer, um die Nachricht zu lesen.
Der Brief war von Papa. Chloe erkannte die Handschrift sofort. Wie sehr sie seine langen Briefe liebte, in denen so viele Neuigkeiten über ihre Familie standen! Sie sehnte sich nach ihrem Zuhause und ihren Angehörigen, nach dem zufriedenen Leben im Loiretal. Dort waren alle lieben Menschen, die sie seit ihrer Geburt kannte. Zu Hause runzelte niemand die Stirn und hielt ihr Benehmen für ungehörig, nur weil sie laut lachte.
„Seine Gnaden wünscht dich in seinem Arbeitszimmer zu sehen, wenn du dich um die Kinder gekümmert hast", fügte Mary flüsternd hinzu.
Überrascht hob Chloe den Kopf. Natürlich, dachte sie. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis der neue Duke mit ihr sprechen wollte.
Bisher hatte sie ihn nur bei zwei Gelegenheiten gesehen, zum ersten Mal gestern, als er eingetroffen war. Da er im Ausland geweilt hatte, war er nicht zu der Beerdigung seines Bruders gekommen, und sein letzter Besuch hatte einen Monat, bevor sie selbst in Strathmere eingetroffen war, stattgefunden. Gestern hatte sie aus ihrem Fenster beobachtet, wie er aus einer schwarzen Kutsche gestiegen war. Er hatte ausgesehen, wie man sich einen Duke vorstellte - hoch gewachsen, elegant, gekleidet in einen Frack, perfekt sitzende Hosen und ein schneeweißes Hemd. Sein kastanienbraunes Haar war nicht mit Pomade zurückgekämmt, wie es der Mode entsprach, sondern lockte sich ungebändigt auf seinem Kopf. Natürlich war es ordentlich geschnitten, doch es ließ ihn etwas verwegen wirken, wie einen Piraten. Und als sie ihn heute durch das Fenster zum zweiten Mal gesehen hatte, war ihr nicht der traurige Ausdruck in seinen großen, tiefbraunen Augen entgangen.
Sie fürchtete die bevorstehende Unterredung mit dem Duke nicht, doch sie sah ihr auch nicht freudig entgegen. Es war ermüdend, ständig gegen das Missfallen der mächtigen Familie Hunt anzukämpfen, nur weil sie sich wie sie selbst benahm.
Als sie zu dem Brief in ihrer Hand hinunterblickte, wurde sie plötzlich von Heimweh überwältigt. Entschlossen straffte sie die Schultern und legte die Nachricht auf ihren Nachttisch, um sie später in Ruhe zu lesen. „Sag ihm bitte, dass ich in Kürze bei ihm sein werde", sagte sie zu Mary. „Ich möchte mich nur etwas frisch machen."
Mary musterte Chloes Kleid und kicherte. Chloe seufzte, als sie an sich herabblickte. Sie sah unmöglich aus. Irgendwie brachte sie es immer zustande, unordentlich zu wirken.
Sie benötigte nur wenige Minuten, um ein hübsches Kleid aus Musselin anzuziehen und ihr Haar zu einem einfachen Knoten festzustecken. Natürlich war das Ergebnis nicht gerade beeindruckend, aber zumindest konnte sie so vor den Duke treten. Prüfend blickte sie in den kleinen Spiegel auf ihrem Nachttisch. Sie besaß ein recht hübsches Gesicht, schöne Haut und klare, graublaue Augen. Ihr Vater sagte immer, dass ihre Augen die Farbe der stürmischen See hatten.
Chloe fand sich recht ansehnlich, aber natürlich war sie keine Schönheit, was ihr jedoch keinen Kummer bereitete - im Gegenteil. Schöne Frauen, wie ihre verstorbene Cousine Bethany, mussten stets darauf achten, die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen. Außerdem interessierte sich niemand für ihren wahren Charakter. Bethany hatte sich immer bemüht, jeden davon zu überzeugen, dass sie trotz ihrer Schönheit ein angenehmes Wesen hatte.
Sie zupfte noch einmal ihr Haar zurecht, dann ging sie hinunter. Vor der Tür zur Bibliothek, die der neue Duke zu seinem Arbeitszimmer gemacht hatte, holte sie tief Luft. Sie war sich im Klaren darüber, dass die Dowager Duchess sie entlassen wollte, und vielleicht war ihr Sohn derselben Ansicht. Nun, Chloe wäre nichts lieber gewesen, als England so bald wie möglich zu verlassen, aber es gab zwei Gründe, warum sie unbedingt hier bleiben musste. Diese beiden Gründe hießen Rebeccah und
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