Entscheidung aus Liebe
ich vor, dass Sie mir nun genau zuhören, um weitere Missverständnisse zu vermeiden. Wir - meine Mutter und ich -würden es begrüßen, wenn Sie Ihre Pflichten ab sofort gewissenhafter erfüllen würden. Die Kinder müssen angemessene Manieren und Etikette lernen, die ihrem Stand entsprechen. Als ihre Gouvernante ist es Ihre Aufgabe, sie in diesen Dingen zu unterrichten, Miss Pesserat."
„Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, Euer Gnaden." Chloe zögerte unsicher, fuhr dann jedoch fort. „Aber nicht in dieser Angelegenheit. Die Kinder erholen sich gerade erst von einem schrecklichen Schicksalsschlag ... "
„Eben aus diesem Grund müssen sie ihre üblichen Gewohnheiten wieder aufnehmen", unterbrach er sie ungehalten. „Ein geregelter Tagesablauf wird ihnen helfen, schneller zu genesen. Sie brauchen die Sicherheit, die ihnen eine vernünftige Erziehung gibt."
„So sehr ich es bedaure, ich muss Ihnen widersprechen", konterte sie. Jareth bewunderte sie insgeheim für ihren Mut, obgleich er ihre Impertinenz nicht billigen konnte. Immerhin setzte sie sich für das Wohl der Kinder ein und schien aus tiefster Überzeugung zu sprechen.
Trotzdem irrte sie sich natürlich.
„Sie brauchen Liebe und Freude", sagte sie beharrlich.
„In Maßen, Miss Pesserat, alles in Maßen."
Mit einer eleganten Bewegung erhob sie sich von dem Stuhl. „Nein, Sir. Sie benötigen beides im Überfluss."
Ungläubig starrte er sie an, ließ sich seine Verwunderung über ihren vulgären Gefühlsausbruch aber nicht anmerken. Nach einer Weile setzte sie sich wieder, und er räusperte sich. „Da Sie Ihre Selbstbeherrschung offenbar wieder gefunden haben, können wir unsere Unterredung fortsetzen."
„Aber es gibt nichts, worüber wir noch diskutieren könnten. Sie und ich vertreten unterschiedliche Meinungen. Sie sind
zwar der Vormund der Mädchen, aber die beiden befinden sich zur Zeit in meiner Obhut. Was sollten wir also noch besprechen?"
Jareth war überrascht, wie exakt sie die gegenwärtige Situation beschrieben hatte. Das Gespräch hatte sie in eine Sackgasse geführt.
Vor dem Tod seines Bruders hatte Jareth elf Jahre im Geschäftsleben verbracht. Er hatte eine Reederei mit einem tüchtigen jungen Bürgerlichen gegründet, einem Mann namens Colin Burke, der ein Schiff beim Kartenspiel gewonnen hatte. Jareth hatte das nötige Vermögen beigesteuert, und auf diese Weise war Burke and Hunt Shipping entstanden. Sie hatten mit nur einem Schiff begonnen, aber im Laufe der Jahre war die Flotte gewachsen. Colin hatte als Captain seines eigenen Schiffes unzählige Häfen angesteuert, um dort selbst mit den ansässigen Kaufleuten zu verhandeln. Jareth dagegen hatte sich unter seinesgleichen bewegt, um Investoren zu gewinnen und Geschäfte mit dem Adel abzuschließen.
Obwohl sein Geburtsrecht ihm den Titel eines Dukes verlieh, lag sein wirkliches Talent darin, zu handeln. Schließlich war er ein Geschäftsmann. Warum hatte er nicht schon früher daran gedacht?
„Was würden Sie von einem Kompromiss halten, Miss Pesserat?" fragte er schließlich. „Wie Sie bereits so scharfsinnig festgestellt haben, sind wir unterschiedlicher Meinung. Trotzdem haben wir beide ein ehrliches Interesse am Wohl meiner Nichten. Ich denke, wir sollten eine gemeinsame Lösung finden."
Sie musterte ihn misstrauisch. „Ein Waffenstillstand?"
„Ein Kompromiss. Wir treffen uns in der Mitte."
„Ich weiß, was ein Kompromiss ist", entgegnete sie. Noch war sie nicht bereit, allzu schnell aufzugeben. „Was schlagen Sie also vor?"
Er setzte sich ihr gegenüber und lehnte sich vor, um ihr in die Augen zu sehen. Zuvor hatte er sie nur einschüchtern wollen, daher hatte er sie gebeten, sich zu setzen, während er stand. Nun aber sollte sie den Eindruck gewinnen, ein gleichgestellter Verhandlungspartner für ihn zu sein.
„Ich schlage vor, Miss Pesserat, den Tagesablauf der Kinder einzuteilen. Sie sollen genügend Zeit für ihre Spiele erhalten, die aber innerhalb ihres Spielzimmers stattfinden werden. Natürlich könnten sie auch gelegentlich Ausflüge unternehmen und in den Garten gehen, aber dabei sollte jemand auf ihr gutes Betragen achten. Es wäre sinnvoll, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Ich denke zum Beispiel an einen Spaziergang zum Teich, um die Enten zu beobachten und auf dem Weg verschiedene Pflanzen kennen zu lernen." Miss Pesserat schwieg. Jareth beugte sich näher zu ihr und senkte die Stimme, als plane er eine Verschwörung mit ihr.
Weitere Kostenlose Bücher