Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entscheidung in Gretna Green

Entscheidung in Gretna Green

Titel: Entscheidung in Gretna Green Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DEBORAH HALE
Vom Netzwerk:
nächsten Moment grausam zu zerschmettern. Aber den unbescholtenen Neffen ihres verstorbenen Ehemanns zu beleidigen, einen jungen Mann, den Felicity liebte wie ihren eigenen Sohn, war eine unverzeihliche Kränkung.
    „Hüten Sie gefälligst Ihre Zunge, Mr. Greenwood! Sie haben kein Recht, Oliver Armitage einen Verführer zu nennen. Ihre leichtfertige Schwester mit ihrem flatterhaften Wesen setzt doch alles daran, sich selbst zu kompromittieren, dazu braucht sie meinen Neffen gewiss nicht.“
    Rede keinen Unsinn, meldete sich die mahnende Stimme ihres Gewissens. Felicity war Hawthorns jüngerer Schwester bei einigen gesellschaftlichen Anlässen begegnet und von ihrem sprühenden Temperament, das so gar keine Ähnlichkeit mit der Ernsthaftigkeit ihres Bruders hatte, sehr angetan. Trotz des Altersunterschieds hatten die beiden Frauen sich blendend verstanden, und sie selbst hatte anschließend in den höchsten Tönen von dem jungen Mädchen gesprochen.
    Nun aber stellte Felicity sich taub gegen ihre eigenen Einwände, zudem reizten sie Hawthorns haltlose Vorwürfe gegen Oliver, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen. Eine Beleidigung gegen die eigene Person würde ihn wahrscheinlich weit weniger kränken als eine abfällige Bemerkung über seine geliebte Schwester.
    Und tatsächlich ballte er die Fäuste und ließ wieder locker, als könne er sich nur mühsam zurückhalten, Felicity an den Schultern zu packen und zu rütteln, bis ihr die Zähne klapperten – oder sie an sich zu ziehen und zu küssen, bis ihr die Knie weich wurden. Beide Vorstellungen ließen ihr Herz schneller klopfen.
    „I…im Übrigen“, fuhr sie stotternd fort, „ist zu bezweifeln, dass Oliver Ihre Schwester überhaupt kennt. Mein Neffe ist ein ausgesprochen in sich gekehrter junger Mann, der es vorzieht, über seinen Büchern zu sitzen, anstatt sich nächtlichen Vergnügungen hinzugeben.“
    Wobei seine Tante nichts unversucht ließ, ihn gelegentlich aus dem Haus zu locken. Noch vor zwei Wochen wäre Ivy Greenwood genau diejenige gewesen, der Felicity ans Herz gelegt hätte, Oliver von seinen Studien und seinem Laboratorium wegzulocken.
    Gottlob hatte sie davon Abstand genommen. Ein Schauder durchlief Felicity. Eine Beziehung zwischen Oliver und Ivy hätte sie unweigerlich mit der Familie Greenwood verbunden, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie gezwungen war, so weit wie möglich vor Hawthorn zu fliehen.
    Die Worte, die er ihr nun ins Gesicht schleuderte, verstärkten ihre Ängste noch. „Ich habe guten Grund anzunehmen, dass Ihr Neffe und meine Schwester nach Gretna Green durchgebrannt sind.“
    Felicity Lyte hatte nicht das geringste Verständnis für Frauen, die in Ohnmacht sanken. Solche Schwächeanfälle hielt sie für affektiert. Unter keinen Umständen wollte sie sich die Blöße geben, vor Schreck über diese Eröffnung in Hawthorns Arme zu sinken. Als aber alles sich um sie zu drehen begann wie ein Kreisel, konnte sie sich nicht dagegen wehren.
    „Felicity!“
    Notgedrungen brach Hawthorn seinen Schwur, nie wieder einen Fuß über die Schwelle ihres Privatgemaches zu setzen. Er hob seine verflossene Geliebte in die Arme und trug sie zum Bett.
    Sanft legte er sie auf die zerknüllten Laken, der vertraute Duft nach Rosenwasser schwächte seine Willenskraft. Es kostete ihn schier übermenschliche Kraft, sie nicht zu küssen. Nur ein letztes Mal noch. Schließlich hatte sie ihm nicht die Gelegenheit gegeben, sich von ihr zu verabschieden.
    Einen flüchtigen Moment lang verdrängte sein Verlangen jeden klaren Gedanken in ihm, auch seine Besorgnis um seine Schwester, der Grund seines nächtlichen Besuches. Felicitys brünette Haarfülle lag wie ein Fächer ausgebreitet auf dem Kissen und verlockte ihn, die seidigen Locken zu berühren. Er wollte ihren Duft einatmen, bis er ganz berauscht davon wäre, und selbst dann würde er immer noch nicht genug davon bekommen.
    Er hätte wissen müssen, dass er einen verhängnisvollen Fehler beging, als er das Angebot dieser begehrenswerten Frau annahm, ihr Liebhaber zu werden. Was konnte sie, deren Schönheit einem lupenreinen Diamanten glich, von einem ermüdend langweiligen Kerl wie ihm schon wollen? Hawthorn war ein nüchterner Verstandesmensch, ohne den Anspruch zu erheben, besonders charmant oder geistreich zu sein. Zwar sah er nicht schlecht aus, war aber beileibe kein atemberaubend schöner Mann. Er hatte familiäre und finanzielle Verpflichtungen, konnte eine Frau nicht mit Geschenken

Weitere Kostenlose Bücher